Wolf-Dieter Narr/Roland Roth/Klaus Vack

 

Wider kriegerische Menschenrechte
Eine pazifistisch-menschen rechtliche Streitschrift

 

1.3 Unsere Perspektive verdichtet sich also in der Devise:

Pazifismus ist Ziel und Weg in einem

 

· Weil die meisten der Kriegsinterpreten so tun, als ergäbe sich ihre eigene Stellungnahme ,,objektivistisch" vor allem aus den Menschenrechten selbst, heben wir die Perspektive hervor, unter der wir nicht nur diesen Krieg, seinen Vorkrieg und seinen Nachkrieg betrachten. Wer dieser Perspektive nicht folgt, wird schon die rohen Daten anders auswählen, ihre Hintergründe anders analysieren und die Ergebnisse des Krieges anders auslegen. Darum gehört zu den ersten Bedingungen der Möglichkeit des Urteilens, sich der eigenen Perspektive bewußt zu werden und die damit verbundenen Folgen immer erneut zu bedenken. Wir hoffen, die Chancen selbständiger und selbstbewußter Urteilsbildung dadurch zu verbessern, daß wir die Lesenden an der Entwicklung unseres eigenen Urteils teilnehmen lassen.

· Darum, weil das, was vor Jahrzehnten einmal Friedensbewegung hieß, im Frühjahr 1999 fast nicht mehr erkenntlich war, gilt es, die pazifistische Urteilsbasis zu begründen. Dann könnte es immerhin sein, daß diejenigen, die sie an- und einnehmen, nicht sogleich schwanken, wenn ihnen der Gegenwind der veröffentlichten Meinung kräftig ins Gesicht bläst. Zugleich ist darzulegen, warum wir nachhaltiger denn je am Pazifismus als unserem politischen Gesamt-konzept festhalten. Wir sind davon überzeugt - und wollen Sie, liebe Lesende, davon überzeugen -, daß uns alle weithin folgen müßten. So es Ihnen denn wahrhaft um Menschenrechte geht. Hierbei versteht sich, daß es den Pazifismus ebensowenig gibt wie die Menschenrechte oder die Demokratie. Solche Begriffe werden nicht nur unter verschiedenen Perspektiven unterschiedlich gebraucht. Darauf ist jeweils genau zu achten. Damit man nicht herrschaftlich mißbrauchten Begriffen folge, wie seinerzeit die Ratten dem bekannten Hamelner Flötenspieler. Solche Begriffe verändern auch im Laufe der geschichtlichen Wandlungen ihren gemeinten Sinn, so wie wir sie selbst anders gebrauchen. Allerdings bedeutet diese perspektivische Abhängigkeit aller Begriffe und ihre Geschichtlichkeit nicht, daß man sie so fahrlässig und verfälschend gebrauchen könnte, wie dies beispielsweise mit dem Menschenrechtsbegriff im Laufe des Jahres 1999 geschehen ist. Gerade darum sind wichtige Begriffe nicht wie verschnürte Pakete zu behandeln. Sie sind in ihren hauptsächlichen Merkmalen auszupacken. Sonst geben sie uns unsere ,,Wirklichkeit" vor, ohne daß wir bemerken, wie wir mit Begriffen manipuliert werden. Insbesondere moralisch allgemein geschätzte Begriffe sind leicht zu mißbrauchen. Darum ist der Kampf um angemessene Begriffe und ihren durchsichtigen Gebrauch politisch von großer Bedeutung. Er ist alles andere als eine akademische Angelegenheit. Der Begriffsraub' eine Art Skalpierung, bildet den ersten Herrschaftsakt. Daraus erklärt sich der immer erneute Versuch, die ,,Formeln der Macht" zu bestimmen und in unsere Köpfe einzuhämmern. Die Herrschaftsunterworfenen sollen die Welt so sehen, wie es den Herrschenden frommt.

Also treten wir ein in den Kampf um Pazifismus, Menschenrechte und Demokratie. Genauer gesagt, wir setzen denselben fort - neu motiviert von diesem unsäglich dummen Krieg. An Alices nicht argumentative, jedoch faktische Niederlage gegen Humpty Dumpty ist in diesem unendlichen Kampf zu erinnern: ,,Wenn ich ein Wort benutze", sagte Humpty Dumpty verächtlich, ,,dann hat es genau die Bedeutung, die ich ihm zu geben beliebe - nicht mehr und nicht weniger." ,,Es fragt sich nur", sagte Alice, ,,ob man Wörtern so einfach ganz unterschiedliche Bedeutungen geben kann." ,,Es fragt sich nur", sagte Humpty Dumpty' ,,wer das Sagen hat, weiter nichts."

,,Sind Sie denn in der Lage, einen faßbaren Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Krieg herzustellen?"

,,Zum Beispiel den: daß jene Sprache, die am meisten zu Phrase und Verrat erstarrt ist, auch den Hang und die Bereitschaft hat, mit dem Tonfall der Überzeugung alles an sich selbst untadelig zu finden, was dem anderen nur zum Vorwurf gereicht."

Also unterhalten sich ,,Der Optimist" und ,,Der Nörgler" im ersten Akt von Karl Kraus' ,,Die letzten Tage der Menschheit".

Wie wir noch ausführen werden, gehört das Dreigestirn der Werte:

Menschenrechte, Demokratie und Pazifismus eng zusammen. Jeder dieser drei Werte enthält die beiden anderen als die Bedingungen seiner Möglichkeit und als seine Folgen in sich. Wenn wir also Pazifismus sagen, müssen wir auch von Menschenrechten und Demokratie reden. Wenn wir Menschenrechte oder Demokratie sagen, folgt der Pazifismus notwendig auf den Fuß.

Weil im Namen von Frieden, Menschenrechten und Demokratie historisch und gegenwärtig so schlimm gefuhrwerkt worden ist und wird, gilt es, die in diesen Begriffen enthaltene Hoffnung zu retten. Oft enttäuscht, weil eben die notwendigen Voraussetzungen und Folgen nicht geschaffen und gezogen worden sind, ist die Hoffnung nicht verbraucht; nicht widerlegt. Darum darf auch der Ausdruck ,,Rettung" nicht mißverstanden werden. Als sei er rückwärts gewandt zu verstehen. Als sei es in irgendeiner uns einigermaßen bekannten Vergangenheit friedlicher zugegangen. Allein unsere größere Gegenwart -,,die Moderne" - ist eine Geschichte, die in blutgefüllten Stiefeln läuft. Staat und Kapital haben sich schrecklich durchgesetzt. Mitten in diese blutverschmierte Staatengeschichte und die kapitalistische Geschichte innerer und äußerer Kolonisierungen sind allerdings andere Spuren eingeprägt. Und diese schrecken nicht, sie weisen auf die jeweilige Gegenwart. Sie weisen voraus auf das allenfalls punktuell erfüllte, von Millionen von Menschen ersehnte Versprechen: Frieden auf der Erden.

Unser kleiner Rettungsversuch ist auf Gegenwart und Zukunft ausgerichtet. Wir hoffen, uns und viele andere von der humanen Urteilskraft und Urteil smacht pazifistischer Politik überzeugen zu können. An diesem großen, irdisch erfüllbaren und doch unwahrscheinlichen Versprechen ist festzuhalten. In seiner kritischen Säure durchätzt es die gegenwärtige kriegsgerichtete Un-Politik. Anders würden die Herrschaftslegitimationen perfekt. Beispielsweise würde unbestritten behauptet, der Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei primär um der Menschenrechte der (albanischen) Kosovarinnen und Kosovaren geführt worden. Solange und in je größerem Maße jedoch die wohlverpaßten Herrschaftslegitimationen mißlingen, solange und in je weiterem Maße vermögen herrschaftsgewitzte Aktionen, auch Kriege, menschenrettend wenigstens eingeschränkt zu werden.

Das pazifistische Konzept ist kein ,,Projekt" ,,der Geschichte". Keine Entwicklung treibt es naturwüchsig hervor. Keine Geschichtsphilosophie trägt es. Es muß von denjenigen, von uns, von Ihnen, liebe Lesende, wenn es Sie überzeugt, aktiv betrieben werden. Es hat allerdings zwei große Argumentationsketten für sich. Die seitherige Geschichte als Kriegsgeschichte lehrt, daß Schrecken, die Menschen sich wechselseitig bereiten, durch Kriege nie beendet, sondern nur anders fortgesetzt, ja verschlimmert worden sind. Allein der Zwang zur Politik, der durch den Verzicht auf kriegerische Gewaltmittel erzeugt wird, eröffnet eine Chance, daß kriegerisch beendete Schrecken nicht den Schrecken ohne Ende befördern. Und wenn die Unversehrtheit der Menschen, jedes Menschen aus Fleisch und Blut, den höchsten menschenrechtlichen Wert - das Herz der Menschenrechte - darstellt, dann folgt die pazifistische Konsequenz notwendig.

Wir begründen mit dieser Schrift das pazifistische Konzept vor allem mit Hilfe von ,,Material" aus dem Nato-Krieg um den Kosovo. Dieser kann schon nicht mehr der letzte Krieg genannt werden. Auch in den elf Wochen von März bis Juni 1999 ist er nicht der einzige Krieg gewesen. Es war. allerdings und ist der Krieg, den die europäisch-angelsächsische Offentlichkeit allenfalls wahrgenommen und den die Nato-Staaten als den ihren im wörtlichen Sinne in Angriff genommen haben. Was kümmern über randständige Diskussionen und Aktionen hinaus schon Osttimor oder Tschetschenien, die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Afrika und Lateinamerika nicht oder doch zu vergessen?