Eckart
Spoo Deutsches Völkerrecht Wenn
die Bundeswehr immer mal wieder im Ausland humanitär tätig wird, gibt es für
die Opfer solcher Einsätze nichts zu hoffen. Das ist der feste Wille der
Bundesregierung, den sie im Fall Varvarin dem
Bundesgerichtshof und den Klägern – Überlebenden des NATO-Bombenangriffs vom
30. Mai 1999 auf die Morava-Brücke in der serbischen
Kleinstadt – unmißverständlich hat mitteilen lassen. Die Leute aus Varvarin könnten weder aus dem Völkerrecht noch aus innerstaatlichem
deutschen Recht Ansprüche herleiten, und die Klage sei
schon deswegen unbegründet, weil das Militär das humanitäre Völkerrecht gar
nicht verletzt habe, schreibt der Prozeßbeauftragte der Bundesregierung,
Professor Achim Krämer. Zwar hätten Soldaten auch im
Krieg die Amtspflicht, „sich nicht [vorsätzlich] in völkerrechtswidriger, kriegsverbrecherischer Art und Weise an fremdem Leben und Eigentum
zu vergreifen“, aber selbst wenn solche Taten erwiesen wären, könne damit weder
gegen den schuldigen Soldaten noch gegen seinen Staat ein Haftungsanspruch
begründet werden. Dieser deutsche Rechtsgrundsatz habe im Zweiten Weltkrieg
gegolten – mit der Folge, daß zum Beispiel Opfer deutscher Massaker in
Griechenland nicht entschädigt wurden – und gelte nach wie vor. Der Bundestag
hätte einen Ersatzanspruch für Kriegsschäden gesetzlich regeln können, habe
jedoch von dieser Kompetenz bisher keinen Gebrauch gemacht; demnach bestehe
keine Rechtsgrundlage für solche Ansprüche, erfährt man aus Krämers
Schriftsatz. Die BRD, die sich 1999 mit
großem Eifer am Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligte, um diesen Staat zu
beseitigen, und für Bombardements mitverantwortlich ist, die größere
Sachschäden bewirkten als im Zweiten Weltkrieg und zudem viele Hunderte
Menschenleben vernichteten, argumentiert jetzt, ein „bewaffneter Konflikt“ sei
eine „Ausnahmesituation“, in der es für den Soldaten – im konkreten Fall für
den an der Auswahl der Bombenziele beteiligten deutschen Offizier – „um sein
eigenes Leben und für den Staat um seine Existenz oder Souveränität gehen
kann“. Dafür sei das Amtshaftungsrecht nicht geeignet. Wieso es bei diesem
Angriffskrieg um die Existenz oder Souveränität Deutschlands ging, wird in dem
Schriftsatz nicht erläutert. Zerstört wurde die Souveränität und letztlich die
Existenz Jugoslawiens; kein einziger deutscher Soldat verlor dabei sein Leben. Nach der Argumentation der
BRD, vertreten durch ihren Anwalt Krämer, gibt es theoretisch die Möglichkeit,
Schadenersatz per Friedensschluß zu regeln. Aber diesen Angriffskrieg begann
die BRD mit den Worten ihres damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder: „Wir
führen keinen Krieg“, und weder sie noch die anderen beteiligten NATO-Staaten
zeigten das geringste Interesse, nach Einstellung ihrer Angriffe mit dem
besiegten Jugoslawien einen Friedensvertrag auszuhandeln. Sie nahmen sich, was
sie wollten, vor allem den jugoslawischen Präsidenten. Die Kriegsverbrecher
klagten ihn als Kriegsverbrecher an. Daß der Bombenangriff am
Pfingstsonntag, als die Bevölkerung in der Nähe der Brücke feierte, ein
Kriegsverbrechen war, will die BRD keinesfalls zugestehen: Brücken seien
allemal militärische Ziele, weil sie durch Truppen genutzt werden könnten, belehrt Krämer das Gericht und die Kläger. Wenn sich später
das Gegenteil herausstelle, sei das bedeutungslos, weil es „für die Planung, Entscheidung
und Durchführung von Angriffen“ stets auf die Informationen ankomme, „die im
Zeitpunkt des Handelns zur Verfügung standen“, nicht auf nachträglich
erkennbare Tatsachen; schon bei der Ratifizierung der einschlägigen
kriegsvölkerrechtlichen Bestimmungen habe die Bundesrepublik ausdrücklich
diesen Vorbehalt gemacht. Kurz: Der Angriff auf die Brücke hätte nur dann
rechtswidrig sein können, wenn den Angreifern vorher die Information vorgelegen
hätte, daß diese Brücke – ausnahmsweise – keine strategische Bedeutung hatte. Die Tatsache, daß sich in Varvarin und Umgebung keinerlei Militär aufhielt, wird im
Schriftsatz der beklagten BRD mit den Hinweisen abgetan, Varvarin
sei von jugoslawischer Seite nicht als entmilitarisierter Ort angezeigt worden,
und in einem Luftkrieg, wie ihn die NATO erfolgreich geführt habe, könne es
solche Orte ohnehin nicht geben; denn das Kriegsvölkerrecht schütze zwar
entmilitarisierte, bewohnte Orte im Frontbereich, der Luftkrieg aber kenne
keinen Frontbereich. Der Regierungsanwalt
verzichtet auch nicht auf die scheußlichste der Lügen,
mit denen der Krieg gegen Jugoslawien begründet wurde: Die NATO habe eine
humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern wollen – wobei unerwähnt bleibt,
daß Varvarin 100 Kilometer vom Kosovo entfernt liegt.
Den zum Teil schwer Verletzten und den Hinterbliebenen der Getöteten läßt die
Bundesregierung in dem Schriftsatz, mit dem sie ihnen weiterhin jede
Entschädigung verweigert, „aufrichtiges Bedauern“ aussprechen. Die Zivilisten
seien „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen – an ihrem Wohnort. Geht es noch zynischer? Die von der BRD ratifizierten
kriegsvölkerrechtlichen Bestimmungen sehen unter anderem vor, daß der Angreifer
vorher wirksam warnen muß, wenn Zivilisten getroffen werden könnten. Hätte die
NATO gewarnt, wären vermutlich keine Zivilisten „zur falschen Zeit am falschen
Ort“ gewesen. Dazu schreibt Professor Krämer, die Bundesregierung habe bei
Ratifizierung dieser Bestimmungen den weiteren Vorbehalt gemacht, daß neben
humanitären auch militärische Erwägungen anzustellen seien. Zum Schutz der eigenen
Flugzeugbesatzungen komme es bei einem Luftangriff auf das Überraschungsmoment
an. Wer überraschen will, kann eben nicht warnen, da müssen die humanitären hinter
die militärischen Erwägungen zurücktreten – allemal. Mit solchen Begründungen
werden deutsche Soldaten bei weiteren Einsätzen alles, was sie eventuell einmal
über das Kriegsvölkerrecht gelernt haben, ignorieren dürfen. Kann man überhaupt von einem Staat,
der das schwerste Verbrechen, den Angriffskrieg, begeht, ernsthaft erwarten,
daß er sich an einzelne Vorschriften des Kriegsvölkerrechts hält? Schließlich verhöhnt die
Bundesregierung die jugoslawischen Kläger und damit unausgesprochen auch die
künftigen Opfer der Bundeswehr in Afrika, Nahost oder am Hindukusch
noch mit Krämers Bemerkungen, innerhalb des Hoheitsgebietes der Vertragsstaaten
der Europäischen Menschenrechtskonvention seien Schadenersatzansprüche aus
Verletzungen des Völkerrechts durchsetzbar, aber wenn man zuließe, daß solche
Ansprüche auch aus anderen Gebieten – da, wo die Deutschen Krieg führen – geltend
gemacht werden, könne die „wirtschaftliche Leistungs- und
Entwicklungsfähigkeit“ der BRD übermäßig strapaziert werden. Der Titel Professor läßt
darauf schließen, daß der Verfasser junge Juristen ausbilden darf. Für die
Kosten eines solchen nicht billigen Schriftsatzes haben wir als Steuerzahler
aufzukommen. Schlimmer noch: Falls der Bundesgerichtshof die Kläger aus Varvarin abweist, werden ihnen, den Opfern des Bombardements,
die gesamten Verfahrenskosten einschließlich der Honorare für die Anwälte der
Bundesrepublik Deutschland aufgebürdet. Die mündliche Verhandlung hat
der Bundesgerichtshof für 19. Oktober, 10 Uhr in seinem Saal N 004,
Herrenstraße 45 a, Karlsruhe anberaumt. |