VÖLKERRECHT / Luftangriff im Kosovo-Krieg

Die Bundesrepublik auf der Anklagebank

 

 

Im Bonner Landgericht wird heute Justizgeschichte geschrieben: Erstmals wird die Bundesrepublik wegen eines Kriegseinsatzes im Rahmen der Nato verklagt. Angehörige der Opfer eines Luftangriffs auf eine Brücke in Serbien verlangen Schadenersatz in Millionenhöhe.

Es geht um den 30. Mai 1999. Damals herrschte lebhaftes Treiben in dem serbischen Kleinstädtchen Varvarin. In der Kirche wurde die Messe zum orthodoxen Dreifaltigkeitsfest zelebriert, auf dem benachbarten Wochenmarkt gefeilscht und gelacht. Vom Krieg war kaum etwas zu spüren, Belgrad und der Kosovo waren 200 Kilometer entfernt. Bis kurz nach 13 Uhr zwei F-16-Kampfjets der Nato die Brücke neben dem Ort mit vier lasergesteuerten 2000-Pfund-Bomben angriffen.   Drei Menschen, darunter die 15-jährige Sanja Milenkovic, wurden getötet, fünf weitere verletzt. Wenige Minuten später, als die ersten Helfer zur Brücke geeilt waren, erfolgte ein zweiter Angriff. Dieses Mal starben sieben Menschen, zwölf wurden schwer verletzt. Nato-Sprecher Jamie Shea  erklärte später,  die Brücke sei - weil eine wichtige Verbindungslinie  für die serbische Armee - ein legitimes militärisches Ziel gewesen. 35 Hinterbliebene und Opfer des damaligen Angriffs bewerten das anders.  Ihre Hamburger Anwältin Gül Pinar wirft der Bundesregierung, stellvertretend für die ganze Nato, in ihrer Klageschrift vor, eklatant gegen die Vorschriften des Genfer Protokolls zum Schutz von Zivilpersonen verstoßen zu haben: mit einem ohne Warnung durchgeführten Angriff auf eine militärisch unbedeutende Brücke ausgerechnet an einem kirchlichen Feiertag und Markttag. Die Serben  suchen deswegen von heute an Gerechtigkeit vor dem Bonner Landgericht. Sie verlangen von der Bundesrepublik eine Entschädigung  in Höhe von 3,5 Millionen Euro, weil sie bei dem Angriff entweder selbst schwer verletzt wurden oder aber Angehörige verloren haben. Damit muss sich  die Bundesrepublik erstmals wegen eines Kriegseinsatzes vor Gericht verantworten. Die Kläger räumen ein, nicht genau zu wissen, welcher Nationalität die Flugzeuge waren. Da es sich um F-16-Maschinen handelte, über die die Bundeswehr gar nicht verfügt, ist sogar klar, dass Deutschland unmittelbar an dem Angriff gar nicht beteiligt gewesen sein kann.  Doch die Serben begründen ihre Klage damit,  dass die Bundesrepublik für die Folgen gesamtschuldnerisch haften müsse. Sie habe  als Mitglied der Nato an militärischen Aktionen gegen Jugoslawien teilgenommen und mit den anderen Mitgliedern gemeinschaftlich den Angriff beschlossen. Gewisse Rückendeckung bekamen die Kläger von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation betonte, die Bundesrepublik sei  für die Aufklärung eines "möglicherweise völkerrechtswidrigen Einsatzes der Nato" mitverantwortlich. Im Fall einer Beteiligung an dem Angriff auf die zerstörte Brücke müsse sie auch Schadenersatz leisten. Das Verteidigungsministerium verwies bisher darauf, dass an dem Angriff weder deutsche Soldaten  noch Flugzeuge der Bundeswehr beteiligt gewesen seien. Allein deswegen lasse sich das Verhalten der Piloten nicht der Bundesrepublik Deutschland zuweisen. Zudem hätten nach den Regeln des Völkerrechts im Krieg Zivilpersonen grundsätzlich keinen individuellen Anspruch auf Schadenersatz. Ein solcher stehe nur Staaten zu. Das Bonner Landgericht muss nun entscheiden, wer Recht hat. Ursprünglich hatten die Serben ihre Klage in Berlin eingereicht. Weil der erste Dienstsitz des  Verteidigungsministeriums aber weiterhin in Bonn ist, wurde die Klage nach dorthin weitergeleitet.

HEINZ-PETER FINKE

Ursprüngliche URL: http://www.hz-online.de/index.php?mode=full&cat=16&minDate=&begin=0&id=58584