Kriegsverbrechen: Ja,
ich glaube ans Gute im Menschen...
Gordana Milanovic-Kovacevic über ihre zweite Heimat und was die als
NATO–Land dem serbischen Städtchen Varvarin antan
Sie leben schon geraume Zeit in Berlin, sprechen nahezu perfekt die deutsche
Sprache...
Im Juli werden es 30 Jahre, dass ich Berlinerin bin.
Was hat Sie nach Berlin gebracht?
Meine Mutter ist mit der letzten jugoslawischen Gastarbeitergruppe 1969
gekommen. Anschließend zogen mein Bruder und ich nach.
Fühlen Sie sich wohl in Berlin?
Ich fühlte mich wohl. Bis vor drei Jahren. Damals veränderte sich die Politik
meiner zweiten Heimat gegenüber meinem Geburtsland Jugoslawien so extrem...
Sie meinen, stünden wir beide mit vollem Herzen hinter der Regierungspolitik
unserer Länder, dann wären wir Feinde?
Genauso wäre es, ist es aber zum Glück nicht.
Na eben. Sie sehen auch gar nicht aus wie einer von diesen bösen
nationalistischen Tschetniks.
Nein, nicht nur, dass ich nicht so aussehe, auch von der Einstellung bin ich
keiner. So wie die meisten Serben oder Jugoslawen keine Tschetniks sind.
Ungeachtet dessen, hat man uns mit diesen Begriffen zu Verbrechern stempeln
wollen.
Das tat weh?
Es hat mir sehr weh getan. Sie wissen, was doppelte Moral ist? Serben oder
Jugoslawen waren sehr willkommen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Man schätzte
sie als »Gastarbeiter«, denn sie waren arbeitsam, fleißig, sehr kommunikativ,
anpassungsfähig und auch billig. Doch dann wurden wir dämonisiert,
satanisiert, auf einmal waren wir Verbrecher, »Tschetniks« eben. Dabei wissen
noch immer nur wenige, was das eigentlich ist.
Wer will schon in die Geschichte Jugoslawiens »eintauchen«. Den meisten
reicht es doch, dass Milosevic bis vor kurzem Präsident war.
Ach Milosevic... Deutschland hat den Zerfall Jugoslawiens angesteuert. Schon
1978 haben deutsche Politiker das befördert, indem sie verschiedene
Gruppierungen nach Kroatien einschleusten, um sich dann mit verschiedenen
Gruppierungen innerhalb Kroatiens an der Abspaltung dieses Landes von
Jugoslawien zu arbeiten. Die zweite kroatische Hymne lautet: »Danke
Deutschland...« Herr Genscher, der ehemalige Bundesaußenminister, ist nicht
umsonst eine gefeierte Person in Kroatien.
Sie waren jüngst in Jugoslawien und zwar in einem kleinen Ort, der Varvarin
heißt und mit dem Auto von Belgrad aus in etwa zwei Stunden zu erreichen ist.
Was ist das Besondere an Varvarin?
Es gibt viele Orte, die man mit Varvarin vergleichen kann. Nur dass sich die
Daten der Bombardierung unterscheiden... Varvarin traf es am 30. Mai 1999.
NATO-Flugzeuge bombardierten die Brücke. Zehn Menschen sind dabei umgebracht
worden, über 30 verletzt, 17 von ihnen schwer. Am Tag danach hat der damalige
NATO-Sprecher Shea diese Bombardierung bestätigt und die Brücke zum militärischen
Ziel uminterpretiert.
Und war sie das nicht?
Nein. Es gab kein militärisches Objekt, ganz zu schweigen von Transporten militärischer
Art. Es gab nur Markt und Kirchenfest und viele, viele Menschen. Und dann das
Massaker.
Sie haben mit Ihren überfallenen Landsleuten gesprochen. Hassen die
Deutschland?
Nein. Sie hassen Deutschland nicht, aber alle, wirklich alle haben gesagt: Die
Verbrecher und die, die sie ausschickten, müssen benannt werden und vor ein
Gericht. Das versucht ein deutscher Rechtsanwalt und ich versuche ihm und seinen
Freunden zu helfen.
Der Krieg – so hörte man es hier zu Lande – wurde auch geführt, um das
jugoslawischen Volk vom Diktat Milosevics zu befreien.
Bundeskanzler Schröder hat am 24. März 1999 gesagt, der Angriff richte sich
nicht gegen das serbische Volk. Nur das serbische Volk war das Opfer. Varvarin
ist nur ein Beispiel. Und nun erwarten einige Politiker im ach so demokratischen
Europa auch noch Dank dafür! Ich denke, und meine Landsleute sehen das in der
Mehrheit nicht anders: Wenn man nur den Präsidenten hätte weghaben wollen,
dann hätte man Wege gefunden – ohne drei Monate Bombenterror, ohne Tausende
zivile Opfer, ohne Invaliden, ohne Waisen.
Es hat eine Balkan-Konferenz gegeben. Westeuropa sicherte Ihrem Land Hilfe zu
– nun, nachdem die Verhältnisse in Belgrad geordnet sind. Kommt Hilfe an?
Der Bevölkerung geht es noch schlechter. Man hat viel versprochen, aber diese
Versprechen sind ja immer mit zusätzlichen Bedingungen verbunden. Jedes Löffelchen
Nahrung wird mit Erpressung verbunden. Nach den Bomben ist das die Methode,
unser Land kaputt zu machen.
Wovon lebt man in Varvarin?
Die Leute haben zumeist von der Landwirtschaft gelebt. Wovon leben sie jetzt?
Von der Hand im Mund. Die wenigsten sind im Stande, das, was sie noch von ihrem
Land haben, zu bearbeiten.
Hier zu Lande spricht man kaum noch davon, dass Deutschland einen Krieg geführt
hat. Macht Sie das wütend?
Das ärgert mich sehr! Wie kann man vergessen, dass man Bomber losschickte und
Menschen getötet hat. Es war eine Aggression gegen einen souveränen Staat. Zum
Ärger über diese echte und erzeugte Vergesslichkeit kommt bei mir Traurigkeit.
Es war ja das dritte Mal innerhalb eines Jahrhunderts, dass Deutschland
Jugoslawien überfallen hat. Die deutsche Bevölkerung hatte nun zwei Jahre lang
Zeit, sich mit den Lügen, die zur Rechtfertigung des NATO-Überfalls fabriziert
wurden, auseinanderzusetzen. Nur wenige interessierte das überhaupt.
Als ich in Varvarin war, da fragte ein alter Mann, ob so ein Krieg noch einmal
kommen könne. Ich sagte: Nein, um Gottes willen, nein! Und erschrak. Denn: Wie
komme ich eigentlich dazu, davon so überzeugt zu sein?! Wenn es politisch
opportun ist, dann geschieht es wieder – und die Leute werden es zulassen.
Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?
...doch, ich glaube an das Gute im Menschen. Nicht nur, weil ich gläubig bin
und Gott nur Böses nicht gewollt haben kann. An irgendetwas muss ich mich ja
festhalten. Ja, ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Menschheit gut ist.
Aber durch die Entwicklung, manche bezeichnen sie als Zivilisation, trauen sich
viele nicht, das Gute sichtbar werden zu lassen.
Und was denken Sie über Gerechtigkeit, also über die juristischen
Aussichten für die Opfer von Varvarin?
Was das geschriebene Gesetz betrifft, müsste ich an den Erfolg glauben.
Andererseits weiß ich um die politischen Dinge in der Welt und auch in
Deutschland.
Fragen: René Heilig
(ND 31.05.01)
Neues Deutschland
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