Projekt „NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz“
Projektsfortschrittsbericht vom 19.10.03
Sehr geehrte Damen und
Herren, liebe Freunde und Unterstützer,
wegen der wichtigen
Ereignisse berichten wir hier etwas ausführlicher als sonst.
Letzte Entwicklung vor der Verhandlung am 15.10.03
Mit Schriftsatz vom 19.09.03
reagierte die Beklagte (BRD, vertreten von der Regierung) auf die Replik
unserer Anwälte um Gül Pinar vom 30.04.03. Hierin war einzig neu, dass die Regierung
nun auch den Vortrag der Kläger über das tatsächliche Geschehen des
NATO-Kriegsverbrechens in Varvarin vom 30.5.1999 in folgender Weise in Abrede
stellte:
"Was den konkreten Ablauf
der Zerstörung dieser Brücke anbetrifft, werden die klägerischen Ausführungen
mit Nichtwissen bestritten." Ansonsten wurden Positionen wiederholt, die schon
in der Klageerwiderung vom 19.12.02 (unsere Information vom 18.1.03) enthalten
waren.
Unsere Anwälte entgegneten
mit kurzem Schriftsatz vom 03.10.03. Auch mit Datum vom 03.10.03 zogen unsere
Anwälte in einem weiteren Schriftsatz für die 34 der 35 Kläger, die sie
vertreten, die ehemals von RA Dost in der Klage gestellten Anträge mit pauschal
immer je getöteter oder schwerverletzter Person geforderten 200 TDM "Schadenersatz
in Geld" zurück. Es wurden neue, die Umstände jeden Einzelfalles
berücksichtigende und somit stark differenzierte Anträge in auch geringeren
Höhen gestellt.
Mit selben Schriftsatz wurde
für die ganz überwiegende Zahl der Kläger Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH)
gestellt.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass RA Dost für die eine Klägerin, die er vertritt, kurz vor Verhandlungstermin erstmalig eine Replik auf die Klageerwiderung der Regierung zu Gericht gab.
Vor Gericht am 15.10.03
Da das Gericht keinen Kläger geladen hatte, hatte der Projektrat seinerseits 3 der Kläger - Zoran Milenkovic, Gordana Stankovic und Jasmina Zivkovic" nach Bonn eingeladen. Diese 3 Varvariner nahmen an der Verhandlung teil.
Nach Erscheinen und
Vorstellung des Gerichtes protokollierte der Vorsitzende Richter - Herr
Sonnenberger - die vor Gericht erschienenen Personen in Vertretung der
Streitparteien. Für die Klägerseite waren das die 3 o.g. Varvariner und mit
ihnen die Anwälte Frau Gül Pinar und Dr. Heinz-Jürgen Schneider für 34 Kläger.
Für eine Klägerin war das RA Dost.
Auf Beklagtenseite war das
Prof. Dr. Redeker mit 2 seiner Kanzleianwälte und ein Beamter des
Verteidigungsministeriums.
(Hier sei eingefügt, dass später im Zuge der Verhandlungsführung der Vorsitzende Richter nochmals zu dem Thema, welcher Anwalt der Kläger ist durch welche Kläger mandatiert, zurückkam. Auf explizierte Nachfrage gab RA Dost kund, dass er nur Frau Ristic vertrete. Das ist daher bemerkenswert, da RA Dost vorher öffentlich und in einem Schreiben vom Januar 2003 an das Bonner Gericht die wahrheitswidrige Behauptung aufstellte, er alleine würde alle Kläger vertreten und die Mandate für die Hamburger Kanzlei seien nichtig, da angeblich illegal erworben.)
Sodann befragte der
Vorsitzende Richter die Parteien, ob sie bereit seien, eine gütliche,
außergerichtliche Einigung zu treffen.
Die Beklagte lehnte mit
Verwies auf die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache dieses ab. Unsere
Anwälte lehnten mangels eines Angebots und auch grundsätzlich ebenfalls ab.
Der Vorsitzende Richter
stellte Scheitern des Gütetermins fest und eröffnete die Verhandlung in der Sache. Er stellte die schriftlich
vorgetragenen Positionen beider Seiten zusammengefasst dar. Zur Tat selbst erklärte er mehrmals,
dass die Tatortfotos und die Beschreibung der Kläger eine Tat von
außerordentlicher Brutalität und Grausamkeit zeigen würden. Das Gericht stellte
fest, dass es keinen Zweifel an der von der Klägerseite vorgetragenen
Beschreibung der Tat hat. Diese könne so als festgestellt gelten. Der Richter
bezweifelte, ob die Varvariner Brücke ein zugelassenes militärisches Ziel von
strategischer Bedeutung (NATO-Darstellung) hätte gewesen sein können. Er habe
auf den Fotos nur ein kleines "Brücklein" gesehen. Des weiteren führte der
Richter aus, dass selbstverständlich die Kläger ein deutsches Gericht anrufen
können, dass das Bonner Landgericht das zuständige Gericht für die Klage sei
und dass es die Sache verhandeln werde. Klage sei fristgerecht erhoben. Fragen
stellte der Richter an die Anwälte der Kläger, was diese denn nun eigentlich
fordern. In der Klage (noch von RA Dost geschrieben) werde von "Schadenersatz
in Geld" gesprochen. Das sei aber keine juristische Kategorie. In Frage kämen
"Ausgleich materiellen Schadens" und/oder "Schmerzensgeld". Unsere Anwälte
bekundeten, dass Schmerzensgeld die Forderung sei.
(Hier sei angemerkt, dass in
der Klageschrift von RA Dost die Forderung "Ausgleich materiellen Schadens" für
keinen Kläger erhoben wurde. Der Unterzeichner erinnert sich, vor unserer
Trennung von RA Dost, darauf aufmerksam gemacht zu haben. RA Dost sagte damals,
dass würde nachgereicht. Was bis heute unterblieb. Das Hamburger Anwaltsteam
konnte hier nichts mehr reparieren. Wir beauftragten sie erst im Spätsommer
2002 nach Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist, diese Sache fortzuführen.
Nach Verjährungseintritt die Forderung "materieller Schaden" zu erheben, wäre
eine Klageänderung. Jedoch Klageänderung nach Verjährung hätte zur Verjährung
der ganzen Klage geführt.)
Nach dieser Klärung wandte sich der Richter der Höhe der Anträge Schmerzensgeld zu. Er erörterte, welche Schmerzensgeldbeträge von deutschen Gerichten üblicherweise zugesprochen werden. Er ließ erkennen, dass die Rücknahme der Dost-Anträge und die Neustellung auf niedrigerem Niveau und in differenzierter Höhe für 34 Kläger, die RA Gül Pinar und Team vertritt, sich hier besser einordnet. Auf Befragen blieb RA Dost jedoch für seine Mandantin bei dem ursprünglichen Antrag.
Der Richter verwies auf die
Außergewöhnlichkeit der Klage für eine Zivilkammer des Landgerichts.
Gewöhnlich beschäftige sich
eine solche Kammer nicht mit Völkerrecht. Das sei Neuland, das hier betreten
werde. Es gäbe keinen Präzedenzfall. Die am Gericht vorhandene Fachliteratur gäbe
hierfür wenig her. Es würden umfangreiche Studien durchgeführt werden müssen.
Er versprach, dass das Gericht sich der schweren Aufgabe sorgfältig stellen
werde.
Dem Kläger Zoran Milenkovic wurde Gelegenheit gegeben, im Namen der Kläger eine Erklärung abzugeben. Er führte aus, wie sehr die von der NATO-Aggression betroffenen Menschen auf Gerechtigkeit hoffen. Die Kläger wollen erfahren, warum ihnen das angetan wurde. Die Geldforderung sei nicht der Kern, wenngleich viele Kläger in Folge des Verbrechens in Varvarin in eine solche Lage gerieten, dass sie das Geld für ihre Fortexistenz dringend gebrauchen könnten. Er führte auch aus, dass diese wichtige Klage nur Dank des Projektrates - namentlich wurde der Unterzeichner genannt - jetzt hier verhandelt werde, wofür er sehr danke. Er bat das Gericht um ein gerechtes Urteil.
Der mehrfach von Zoran benutze Begriff "NATO-Aggression" führte zu einer empörten Zurückweisung durch die Vertreter der Beklagten. Sie meinten, es habe sich vielmehr um eine gerechtfertigte, humanitäre Intervention gehandelt. Der Richter unterbrach die weitere Diskussion, da hier in diesem Verfahren darüber nicht zu befinden sei. Es gehe allein um die Tat in Varvarin und deren Rechtsfolgen.
Der Richter versicherte den Klägern, alles in den Möglichkeiten dieses Gerichtes tun zu wollen, um ein gerechtes Urteil zu finden. In Anspielung auf Zorans mit 15 Jahren getöteten Tochter merkte er an, dass er auch eine Tochter in diesem Alter habe.
Der Vorsitzende Richter
führte aus, dass das Gericht Revision gegen sein Urteil wohl zulassen werde,
wegen der grundsätzlichen Bedeutung. Er erwarte, dass diese Klage noch höchste
deutsche Gerichte oder vielleicht auch solche auf europäischer Ebene
beschäftigen werde.
An die Anwälte der Parteien
gerichtet sagte er, dass nun mit dem Schließen dieser Verhandlung Tatsachen
nicht mehr vorgetragen werden können. Frei stehe es den Parteien jedoch, neue
Schriftsätze zur rechtlichen Bewertung der Tatsachen vorzulegen.
Zur Vollständigkeit sei angemerkt, dass RA Dost die Gelegenheit nutzte, ein längeres Statement abzugeben. Dem Inhalt können wir durchaus zustimmen, nur meinen wir, dass anklagende und vielleicht etwas polemische Komponenten nicht das Zweckmäßigste in einer Zivilsache sind, die man erst noch gewinnen muss.
Das Gericht legte den
10.12.2003, 11.30 Uhr als Verkündungstermin fest.
Wir merken an, dass dieses
das Sprechen eines Urteils bedeuten kann, aber nicht zwingend sein muss.
Vielleicht käme auch Verkündung eines Beschlusses in Betracht, etwa zum Eintritt
in ein Beweisverfahren oder zum Ruhen des Verfahrens mit Vorlage beim
Bundesverfassungsgericht, falls die Richter verfassungsrechtliche Fragen mit
Klärungsbedarf tangiert sehen sollten.
Zum Verkündungstermin wird der Projektrat wiederum eine Delegation der Varvariner Kläger nach Deutschland einladen.
Unsere vorläufige Bewertung des ersten Verhandlungstages
Das Gericht hat sich fair und
sachlich gezeigt.
Mehrere Verteidigungslinien
der deutschen Regierung scheinen zunächst obsolet. Das sind:
- | Bestreitung des Tatherganges mit Nichtwissen, |
- | Fehlende Passivlegitimation, behauptete Immunität von Staaten gegen Individualklagen, |
- | Keine Zuständigkeit deutscher Gerichte, da Tatort nicht in Deutschland, |
- | Allenfalls hätte nur gegen die NATO als Institution geklagt werden können, |
- | Zivilklagen dürften nicht zugelassen werden, da sie das Bemühen der vormals kriegführenden Staaten stören, nach dem Krieg wieder zu einem normalen, geregelten Verhältnis zurückzukehren, |
- | Zivilklagen dürften nicht zugelassen werden, da sonst Dopplung der Ansprüche aus diesen neben denen aus Reparationen entstünde. |
- | Diese Klage dürfe nicht zugelassen werden, weil sie zu nicht akzeptabler Ungleichstellung der Opfer führen würde, da andere potenzielle Kläger mangels fehlender Mittel sich eine solche Klage nicht leisten könnten, |
- | Zulässigkeit dieser Klage könnte zu einer Überflutung der Gerichte - mit deren Lahmlegung - führen, |
- | Letztlich könne die Tat von Varvarin auch als Exzess gewertet werden, wofür dann nur der/die unmittelbare(n) Täter verantwortlich wären. |
Wir betonen, dass der
bisherige Stand der Verhandlung keinerlei Schluss über das endliche Ergebnis
der ersten Instanz zulässt. Festzustellen ist jedoch, dass die Position der
Kläger bisher in keiner Weise beeinträchtigt wurde.
Falls vorstehender Text nicht
vollständig genug, eventuell nicht mit den geeignetsten Worten oder gar in den
Sinn nicht richtig treffender Weise verfasst sein sollte, so bitten wir um
Nachsicht. Unser Anwaltteam wird noch eine Bewertung aus juristischer Sicht
geben, die wir veröffentlichen werden. Diese mag dann unsere eventuellen Fehler
korrigieren.
Finanzsituation des Klageverfahrens
Zur Zeit sind 13,5 T€ auf dem Spendenkonto verfügbar. Dort sind noch nicht 1,3 T€ aus dem Unterstützungsabend mit Dittrich Kittner enthalten. Auch sind noch nicht die erheblichen vorgeschossenen Kosten der letzten Woche abgerechnet. Wesentlich wird die Entscheidung des Gerichtes über die PKH-Anträge für den weiteren Finanzbedarf sein.
Sonstige Informationen
Der zunächst für den 22.10.03 angesetzte Verhandlungstermin der gemeinsamen Klage von 34 Varvarinern und der PR-Mitglieder gegen RA Dost wegen Gebührenüberhebung wurde vom Frankfurter (Oder) Landgericht aus "betrieblichen Gründen" auf den 19.12.03 verschoben.
Obwohl viele TV-Teams umfangreiche Aufnahmen zum Prozessauftakt machten, ging nahezu nichts über den Sender. Aber in der letzten Woche gab es umfangreiche Berichte in Printmedien, national und international. Bernd Klagge aus Bonn hat uns schon eine gute Auflistung gegeben. Vieles hat Alant Jost auch schon in die neue Mappe "Der 1. Prozesstag in Bonn" in http://www.nato-tribunal.de / Varvarin eingestellt. Danke an beide.
Im Auftrag des Projektrates
Harald Kampffmeyer
Der Projektrat:
Cornelia Kampffmeyer (030) 65
94 29 08 Harald Kampffmeyer HKampffmeyer@aol.com Jan van de Loo (040) 73 74 81 77, Janbilja@t-online.de Gordana Milanovic (030) 39 03 07 96, gordana.m-k@t-online.de Gabriele Senft (030) 51 01 86 4 |
Spendenkonto
(geführt bei der VdJ e.V.): Berliner Sparkasse - BLZ: 100 500 00 Konto: 33 52 20 14 |