Sehr geehrte Damen
und Herren, liebe Freunde und Unterstützer,
nachdem die Medien
bereits in hinlänglicher Breite über das Ergebnis der 1. Instanz der Varvariner
Zivilklage – Abweisung der Klage – berichteten, wollen wir nach Abreise der
Klägerdelegation und unserer Rückkehr aus Bonn nun ausführlich über den
Sachstand und die Perspektiven referieren.
a) Protokollarischer
Auftakt
Der Gerichtstermin
begann um 11.40 Uhr.
Nach Erscheinen des
Gerichtes wurde dieses vom Vorsitzenden Richter vorgestellt:
Herr Sonnenberger, Vorsitzender,
Herr Geiger, Beisitzer,
Frau Zlavnik, Beisitzer
Damit war das Gericht
z. T. anders besetzt, als am 15.10.03.
Protokolliert wurden
dann die für die Streitparteien anwesenden Vertreter.
Für die Klägerseite:
Frau Vesna
Milenkovic, Klägerin,
Herr Zoran
Milenkovic, Kläger,
Frau Verica Ciric,
Klägerin,
Herr Slobodan
Ivanovic, Kläger,
Frau RA Gül Pinar,
Anwältin für 34 Kläger inklusive die 4 vorstehenden Kläger,
Herr RA Dr.
Heinz-Jürgen Schneider, Anwalt für 34 Kläger inklusive die 4 vorstehenden
Kläger
Ferner Herr RA Dost
für eine Klägerin
Für die Seite der
Beklagten:
Herr Prof. Dr.
Redeker,
Herr Dann,
Frau v. Bornstett,
Herr Karpenstein
b) Urteilsverkündigung
Der Vorsitzende
Richter verkündete: „Im Namen des Volkes – Die Klage ist abgewiesen.“
c) Rekapitulation
der Positionen der Streitparteien
Richter Sonnenberger bemerkte, hiermit sei gewöhnlich ein Verkündungstermin im Zivilverfahren beendet. Jedoch solle hier wegen des ersichtlich großen Interesses der Öffentlichkeit abweichend von dem Gewöhnlichen durch das Gericht eine Kommentierung des Urteils gegeben werden.
Er stellte die
Positionen der Streitparteien, ihren Vorträgen folgend, dar.
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Die Beklagte
berufe sich zur Legitimität ihres Handelns auf folgende Beschlüsse:
08.10.98 Beschluss des NATO-Rates zum Militäreinsatz,
12.10.98 Zustimmung des Deutschen Bundestages
zu dem NATO-Einsatz,
25.02.99 Zustimmung des Deutschen Bundestages zum Einsatz deutscher Kräfte.
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Er führte aus:
„Die Vertreibungen unter Milosevic hätten die NATO zum Eingreifen bewogen und
führten zum Konflikt vom 24.03. bis 12.06.99.“
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Sodann beschrieb
der Vorsitzende Tathergang und Tatfolgen entsprechend der Darstellungen der
Kläger.
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Er stellte fest:
„Unstrittig ist, dass deutsche Flugzeuge an diesem Angriff nicht beteiligt
waren.“
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Er sagte: „Die
Kläger sehen Haftung der Beklagten aus deren Mitwirkung am Zustandekommen der
(oben genannten) Beschlüsse erwachsen sowie aus deren Unterlassung des
Geltendmachens eines Vetos bei Angriffen auf zivile Ziele.“
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Auch führte er
aus, dass die Kläger bisher von keiner Seite entschädigt wurden, von der NATO
nicht, von keinem NATO-Staat und auch nicht vom eigenen Staat.
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Jedoch merkte er
an, dass Deutschland nach dem Konflikt bis heute bereits 200 Milliarden DM
(Milliarden ist kein Hör- oder Schreibfehler – H.K.) an Wiederaufbauhilfe in
oder an Serbien geleistet habe.
d) Rechtliche
Würdigung des ergangenen Urteils durch den vorsitzenden Richter
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Es handele sich
bei dieser Klage um den ersten Versuch, Haftung der BRD für eigenverantwortliches
Handeln zu erlangen.
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Als neues
Problem tue sich auf, ob der NATO-Einsatz rechtswidrig war. Jedoch meine der
Bund, er habe nur Nothilfe zur Verteidigung der Albaner geleistet. Letztlich
käme es hierauf aber nicht an. Das Gericht habe nicht geprüft, ob der
NATO-Einsatz eine Aggression gewesen sei.
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Zu prüfen war,
ob Individuen eine Möglichkeit der Klage gegen Staaten haben. Das Ergebnis der
Prüfung ist: „Einzelansprüche bestehen nicht.“
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Einzelne
Personen seien keine Völkerrechtssubjekte! Daher können sie Ansprüche nur über
Staatshandeln realisieren.
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In einer
Entscheidung von 1996 habe das BVG entschieden: „Ansprüche des Einzelnen
bestehen nur in und aus vertraglichen Schutzsystemen zwischen Staaten.“ Solche
seien hier nicht gegeben, denn solche Verträge bestehen zwischen Deutschland
und Jugoslawien nicht. Auch könne die Europäische Menschenrechtskonvention
(EMK) nicht als Grundlage dienen, da Jugoslawien kein Unterzeicherstaat war
oder ist. Deutschland als Unterzeichnerstaat müsse die dortigen Rechte aber nur
innerhalb seines Hoheitsgebietes gewährleisten. So habe auch der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte in dem Fall der Klage der RTS-Opfer entschieden.
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Die Haager
Abkommen von 1907 (Haager Landkriegsordnung) gelten zwar, aber sie eröffnen
Ansprüche nur den Kriegsparteien. Gleiches gilt für die Genfer Konvention und
ihr Zusatzprotokoll 1 von 1977. Die geschädigten Zivilisten seien jedoch nicht
Kriegspartei.
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Aus den
Schutzgütern des Grundgesetzes können die Kläger keine Ansprüche herleiten,
weil das GG nur im deutschen Hoheitsgebiet gelte.
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Auch aus
deutschem Staatshaftungsrecht des BGB erwachsen keine Ansprüche, weil in einem
bewaffneten Konflikt dieses vom Krieg überlagert werde und somit nicht
anwendbar sei. So habe letztens auch der BGH im Fall Distomo entschieden.
Zusammenfassend erklärte
der Vorsitzende, dass weder deutsches noch internationales Recht eine
Anspruchsgrundlage für die Kläger liefere. Eine Haftung Deutschlands sei somit
nicht möglich.
Zumal, es hätte sich
wieder gezeigt, dass Zivilgerichte generell keine Kriegsfolgen regeln können.
[ Ende des
Berichts zum Geschehen in Bonn ]
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Das Ergebnis –
Abweisung der Klage – ist enttäuschend. Besonders trifft es wohl viele der
Varvariner, da ihr Glaube „Deutschland ist doch ein Rechtsstaat“ sie annehmen
ließ, dass die Klage nur gewonnen werden könne.
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Die Frage der
„Gesamtschuldnerischen Haftung“ der NATO-Staaten wurde nicht geklärt.
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Das Gericht
hielt an Sichtweisen fest, wie sie von deutschen Gerichten in der Vergangenheit
zur Abweisung von Ansprüchen der Opfer aus faschistischen, deutschen Verbrechen
entwickelt wurden.
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Unsere Erfolge
sind bisher dennoch:
- Die deutsche Regierung wurde – ganz gegen ihren Willen – gezwungen, sich
ihren Opfern gleichrangig zu stellen.
- Eine breite Öffentlichkeit hat erstmalig wenigstens eines der brutalen
NATO-Verbrechen zur Kenntnis genommen.
- Die Klage ist zugelassen, Berufung und weiter Rechtsweg sind möglich.
Die 34 Kläger aus
Varvarin, die der Projektrat und die Kanzlei Getzmann, Schaller, Pinar &
Hoffmann vertreten, werden in Berufung gehen wollen. So die vorläufige
Bekundung der in Bonn anwesenden vier Kläger. Zoran, Vesna, Verica und Slobodan
werden in einer Klägerversammlung in Varvarin berichten. Wir zweifeln nicht,
dass alle zusammen in Berufung gehen werden.
Berufung muß – ohne
Begründung – innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung des Urteils, hier zum OLG
Köln, erfolgen. Für die Begründung werden unsere Anwälte dann sicher
Fristverlängerung, sonst innerhalb von 2 Monaten nach Urteilszustellung,
beantragen. Wesentlich wird es um die Fertigung hochkarätiger Gutachten zu den
Rechtsfragen gehen, was Zeit erfordert.
Keine Entscheidung
wurde zur Frage Gewährung Prozesskostenhilfe (PKH) für die Kläger mitgeteilt.
Falls PKH nicht genehmigt würde, würden wir wieder erhebliche Mittel durch
Spenden aufbringen müssen.
Aber ohne zu warten,
wer es kann, sollte jetzt schon den Varvarinern finanziell helfen. Konto siehe
unten.
Im Auftrag des
Projektrates
Harald Kampffmeyer