Projekt „NATO-Kriegsopfer klagen auf Schadenersatz“
Projektfortschrittsbericht vom 01.03.05
Sehr geehrte Damen und
Herren, liebe Freunde und Unterstützer,
am 24.02.2005 fand vor dem
Oberlandesgericht (OLG) Köln die Berufungsverhandlung der Zivilklage der
Varvariner NATO-Opfer gegen die BRD statt. Die 1. Instanz, das Landgericht (LG)
Bonn, hatte mit Urteil vom 10.12.2003 die Klage für zulässig befunden, jedoch
als unbegründet abgewiesen. Gegen die Abweisung wegen Unbegründetheit richtete
sich die fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger. Die Begründung der
Berufung, gefertigt von der Kanzlei Getzmann, Schaller Pinar & Hoffmann,
wurde bei Einhaltung der gewährten, verlängerten Frist Ende August 2005 beim
OLG Köln eingereicht. (Der Text der Berufungsbegründung ist bei www.nato-tribunal.de, dort „Varvarin“
zu finden.)
Die seitens der deutschen
Regierung prozessbevollmächtigte Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs & Widmaier
(weiter Kanzlei Redeker genannt) antwortete auf die Berufung nebst Begründung
im Namen ihrer Mandantin mit Schriftsatz zum OLG Köln vom 08.12.2004.
Kanzlei Redeker beantragte:
Die Anträge wurden begründet.
Mit diesem Bericht informiert
Sie der Projektrat (PR) über den Ablauf der Verhandlung vor dem OLG Köln am
24.02.05. Die Juristen unter Ihnen mögen es uns nachsehen, dass wir als
Nichtjuristen uns vielleicht nicht der für sie gewohnten, exakten
Ausdrucksweise bedienen.
1. Gericht und
Parteienvertretung
7. Zivilsenat des OLG Köln :
Vorsitzender Richter Herr Dr. Prior, 2 Beisitzer
Erschienen für 34 der Kläger : Frau RA Pinar und Herr RA Dr. Heinz-Jürgen
Schneider
Erschienen für eine Klägerin : Herr RA Dost
Erschienen für die Beklagte : Frau Bornstett, Frau Stütz, beide
Bundesverteidigungsministerium
Herr RA Dr. Brand und Herr RA Dr. Karpenstein
Die Verhandlung zum Fall
Milenkovic u. a. gegen Bundesrepublik Deutschland wurde durch das Gericht um
12.20 Uhr eröffnet.
2. Verhandlung des
Widerspruches gegen Versagung der PKH
Die 1. Instanz hatte die
durch 32 Kläger beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) aus 3 Gründen versagt:
-
Die beantragenden
Kläger hätten den Anwalt gewechselt (von Dost zu Pinar)
-
Dritte (gemeint
waren PR-Mitglieder und Spender) kämen für die Prozesskosten der Kläger auf,
womit diese nicht bedürftig seien,
-
Mangelnde
Erfolgsaussichten der Klagesache selbst.
Das OLG führte nun aus, dass
es keinesfalls die PKH mit dem Grund der mangelnden Erfolgsaussichten der
Klagesache selbst ablehnen werde. Ganz im Gegenteil, es handele sich um
grundsätzlich neue Rechtsanwendung, was PKH-Gewährung rechtfertige.
Der Vorsitzende befragte Frau
RA Pinar hinsichtlich der Verausgabung der für die Kläger gesammelten
Spendenmittel. Frau Pinar stellte klar, dass die gesammelten Mittel zuletzt
durch Bezahlung der Kostenforderung der Kanzlei Redeker nahezu vollständig
verausgabt seien, und dass kaum noch Spenden einträfen. Somit sei Bedürftigkeit
der Antragsteller gegeben.
Hier wandte RA Dost ein, dass
er Kenntnis davon habe, dass doch noch Spendenmittel vorhanden seien und
weitere Geldzugänge zu verzeichnen wären (Anmerkung des PR: Herr Dost ist nicht
über die Kontenführung des Spendenkontos informiert. Welchen Zweck sein Einwurf
auf Basis von Unwissenheit verfolgte, ist nicht klar). Jedenfalls ging das
Gericht nicht auf Dost’s Behauptung ein.
Der Vorsitzende merkte an, dass alle PKH-Anträge in
serbischer Sprache abgefasst seien. Um den erheblichen Aufwand von
Übersetzungen vielleicht zu sparen, wolle er später mit Frau RA Pinar noch
telefonisch Rücksprache nehmen, um ein anderes, zweckdienliches Verfahren zur
Anwendung zu bringen. Vielleicht kämen kurze eidesstattliche Versicherungen der
Antragssteller in Frage.
Der Versagungsgrund
‚Anwaltswechsel’ spielte keine Rolle mehr. Offensichtlich wurde, dass das
Gericht die PKH gewähren werde, wenn die formalen Dinge erledigt werden.
An dieser Stelle beantragte
RA Dost mündlich und überraschend nun auch erstmalig PKH für seine Mandantin,
Frau Ristic. Hatte er doch im April 2001 alle Kläger dazu gebracht, ihm zu
unterschreiben, dass er nicht PKH-Anträge stellen solle.
3. Rechtserörterungen des
Gerichtes mit den Parteien in der Hauptsache
Der Vorsitzende führte
eingangs aus, dass dieses Gericht nicht die Völkerrechtskonformität oder ggf.
–widrigkeit des NATO-Krieges gegen Jugoslawien als solchen klären werde. Diese
Frage sei hier nicht gegenständlich und werde somit auch nicht entschieden.
Das OLG sei wie das LG Bonn
der Auffassung, dass die Klage zulässig sei.
Die Anwälte der Regierung
widersprachen dem. Sie trugen vor, dass kein Tatort in Deutschland ersichtlich
sei. Auch hätte deutsches Militärpersonal den Angriff nicht ausgeführt. Unter
den betroffenen Klägern sei auch kein deutscher Staatsbürger. Daher sei keine Zuständigkeit deutscher
Gerichte gegeben. Mehr noch, eine Verhandlung und Entscheidung der Klage würde
bedeuten, dass ein deutsches Gericht über eine internationale Organisation, die
NATO, oder ggf. über einen ausländischen Staat, dessen Streitkräfte den Angriff
ausführten, ein Urteil fällen wolle, was unzulässig sei.
Das Gericht ließ diese Sicht
nicht gelten. Der deutsche Staat könne sehr wohl wegen Handlungen im Ausland,
an denen er mitwirkte, in Deutschland von Ausländern beklagt werden. Das
Gericht wolle und werde nicht über Handlungen ausländischer Regierungen oder
Organisationen urteilen.
Weiter stellte der
Vorsitzende eine Reihe von Erwägungen an:
- Der Angriff auf die
Varvariner Brücke könnte rechtswidrig erfolgt sein.
- Wäre dem so und eine
Beteiligung der BRD daran wäre gegeben, so könnte das Haftung der BRD
zur Folge haben.
- Die Beteiligung der BRD
stelle hoheitliches Handeln des Staates dar.
- So weit bekannt könnten
folgende Handlungen der BRD hier rechtserheblich sein: Beteiligung an der
Zielauswahl, Zustimmung zu Angriffen
auf ausgewählte Ziele, Unterstützungshandlungen wie
Zielaufklärung durch deutsche Tornados,
Begleitschutz für die Angriffsflugzeuge durch deutsche
Tornados und Mitwirkung bei Festlegung
wann und wie Zerstörung des Zieles erfolgen sollte.
Der Vorsitzende stellte auf
Urteile des BVG ab, letztlich im Falle der Entschädigungsansprüche
italienischer Militärinternierter im 2. Weltkrieg, die zwar Schadensersatz /
Entschädigungen versagten, aber immer die Rechtslage in diesem Krieg zur
Grundlage gehabt hätten. Es gebe eine wesentliche Rechtsentwicklung seit dem,
die sich mehr den Opfern zuwende.
Es sei nicht so, dass das
Völkerrecht keine Individuen kenne. Vielmehr gewähre es ausdrücklich Individuen
primäre Rechte. Nämlich – so wie im 1. Zusatzprotokoll (ZP 1) zur Genfer
Konvention – Schutzrechte vor ungerechtfertigten Angriffen im Krieg. Daneben
stellt das Völkerrecht Sekundäransprüche auf Schadenersatz bereit, wenn die
primären Schutzrechte doch verletzt wurden.
So mit dem Haftungsartikel 91
des ZP 1. Nur sei die Nutzung dieses Sekundärrechtes den Individuen selbst
nicht möglich. Dazu bedarf es des Handelns ihres Staates, der für sie die
Ansprüche geltend machen muss. Da solches Handeln des Heimatstaates der Kläger
hier nicht vorliege, entfalle auch die Möglichkeit, dass hier Haftung aus dem
Völkerrecht zur Anwendung kommen könnte.
Der Vortrag der Beklagten den
Tatort in Brüssel – NATO-Sitz – oder in Italien – Kommandostelle – sehen zu
wollen, sei in Augen des Gerichtes nicht tragend. Obwohl hier nicht einschlägig
zeige das NATO-Truppenstatut sehr wohl, dass nicht die NATO der Souverän sei,
sondern die einzelnen Mitgliedsstaaten es seien.
Entgegen der
Urteilsbegründung der 1. Instanz könne das Gericht bisher nicht erkennen, dass
während des Krieges gegen Jugoslawien das innerstaatliche Recht der BRD durch
unmittelbare Wirkung des Kriegsvölkerrechtes in der BRD überlagert und somit
suspendiert gewesen wäre.
Da das BGB also in der
fraglichen Zeit wohl doch wirksames innerstaatliches Recht gewesen sei, käme
prinzipiell dieses als Grundlage für Haftung in Frage. Und hier – so der
Vorsitzende – sei der § 839 BGB die entscheidende und auch nur einig
vorstellbare Vorschrift.
Dem Vortrag der Beklagten,
dass die rechtssystematische Stellung des § 839 im BGB seine Heranziehung für
Haftung in Sachen Kriegsfolgeschäden ausschlösse, könne das Gericht sich nicht
anschließen.
Das Gericht sei der Meinung,
dass es bei Kriegsverbrechen eine nationale Haftung geben müsse.
Wenn das Verbrechen so
eindeutig wäre, wie es z.B. in Distomo (2. WK) der Fall war, wäre es dem
Gericht sehr schwer gefallen, in heutiger Zeit eine Haftung auszuschließen und
Entschädigung zu versagen.
Das Gericht sei sich noch
nicht über die Bewertung des Angriffes auf die Brücke in Varvarin im Klaren.
Vielleicht stelle dieser
Angriff einen Irrtum oder eine Fahrlässigkeit dar. So sei es beim Angriff auf
die chinesische Botschaft wohl auch gewesen.
Hier warf RA Dr. Schneider ein, dass Irrtum wohl ausgeschlossen sei, da am Folgetag, dem 31.05.99 der Sprecher der NATO Jamie Shea in der täglichen Pressekonferenz berichtet hatte, dass die NATO erfolgreich und in geplanter Weise die Brücke von Varvarin zerstört habe.
Jedenfalls, so das Gericht,
genüge der Vortrag der Beklagten, Brücken seien im Kriege immer und ohne
weiteres legitime militärische Ziele, nicht. Die Beklagte habe bisher nicht
vorgetragen, was die Varvariner Brücke in ihren Augen zum militärischen Ziel
gemacht habe.
Hier äußerten die Anwälte der
Regierung Spekulationen, dass es sicher so gewesen sei, dass sich heimlich und
bei Nacht serbische Milizen über die Varvariner Brücke in’s Kosovo geschlichen
hätten.
Das Gericht reagierte mit der
Aufforderung, dass dann doch die Beklagte mit neuem Schriftsatz ihre
Erkenntnisse dem Gericht bekannt machen solle.
Der Vorsitzende stellte dar,
dass für den Fall, dass kein Versehen mit dem Angriff vorliege und dass die
Brücke kein legitimes militärisches gewesen sein sollte (1. Bedingung) und dass
die deutsche Regierung dann an der Auswahl eben dieses Zieles mitgewirkt haben
sollte bzw. einem Angriff zugestimmt haben sollte (2. Bedingung), das Gericht
auf Haftung erkennen könnte. Es könne aber selbst dann noch Haftung
feststellen, wenn die Brücke ein legitimes militärisches Ziel gewesen sein
sollte, aber der Regierung eine Ein- oder Mitwirkung auf Zeitpunkt und Methode
des Angriffes nachgewiesen würde. Denn Zeitpunkt und Art des Angriffes lassen
es schwer fallen zu erkennen, dass alles erforderliche getan wurde, um Opfer
unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Auch könne Mitwirkung im
Falle eines illegitimen Zieles dadurch gegeben Sein, dass Bundeswehr-Tornados
im Einsatz waren, um die Luftabwehr zu unterdrücken und den Angriffsflugzeugen
den Angriff auf die Brücke zu ermöglichen. Keine Haftung sei gegeben, wenn das
Ziel legitim war und nur fehlerhafter Ablauf zu den Opfern führte, wenn der
Ablauf ohne Beeinflussung deutscher Stellen war.
Hier warfen die Anwälte der
Regierung ein, dass erstens die Bundesregierung an nichts beteiligt war, nichts
wusste, denn in der NATO gelte das Prinzip „need to now“, weswegen die NATO
keine Informationen an NATO-Regierungen gab, und dass darüber hinaus am 30. Mai
99 Bundeswehr-Tornados überhaupt nicht aufgestiegen seien. Somit fehle es in
jedem Falle an irgendeiner deutschen Beteiligung.
Der beisitzende Richter
machte darauf aufmerksam, dass aber ein Bericht vorliege, dass am Tattag
mindestens 2 Tornados der BRD im Einsatz waren.
Die Regierungsanwälte
meinten, dass das unerheblich sei, da deutsche Tornados nur über dem Kosovo im
Einsatz gewesen seien, nie jedoch über Innerserbien.
Der beisitzende Richter
bemerkte, dass selbst, wenn das stimme, immer noch eine Mitwirkung vorliegen
könne, denn die von deutschen Tornados für den Angriff eventuell
niederzuhaltenden Luftabwehrmittel müssen sich nicht in der Nähe des Zieles
befunden haben.
Der Vorsitzende Richter
zitierte aus der großen Anfrage der PDS-Fraktion im Bundestag (14. Wahlperiode)
bzw. die von der Regierung gegebene Antwort (von den Klägern als Beweis
vorgelegt):
Frage 42: „Inwieweit war die
Bundesregierung über die Zielplanungen für die Luftangriffe informiert?
Welchen Einfluss hatte sie
auf die Festlegung der Ziele?“
Antwort: „Zielplanung und
Zielauswahl sind im NATO-Rahmen abgestimmt worden.“
Ihm – dem vorsitzenden
Richter – falle nun ein merkwürdiger Widerspruch zwischen der Regierungsantwort
an den Bundestag und der hiesigen Haltung der Regierung auf. Die Beklagte könne
nicht einfach den Vortrag der Kläger mit Nichtwissen bestreiten und verlangen,
dass die Kläger über von ihr selbst oder der NATO geheim gehaltene Sachverhalte
Beweise vorlegen solle. Auch die Beklagte habe Pflichten. Insbesondere eine
Darlegungspflicht über Sachverhalte, die nur ihr bekannt sein können.
Beide Parteien wurden
aufgefordert, weitere Schriftsätze zur Untermauerung ihrer Positionen
vorzulegen. Frist für die Einreichung wurde nicht gesetzt. Jedoch wurde der
Termin der Verkündung des Berufungsurteils festgesetzt.
Dieser ist der 16.06.2005,
10.00 Uhr, OLG Köln, Raum 153.
Schlussbemerkungen des PR
Unsere Freunde aus dem Bonner
/ Kölner Raum hatten vor dem Gericht eine Demonstration gemacht, die für einen
würdigen Rahmen und Aufmerksamkeit sorgte. Dank dafür an alle, besonders an das
Kölner Friedensforum.
Der Gerichtssaal war durch
Freunde und Unterstützer überfüllt. Presse war kaum anwesend.
Mit diesem Verhandlungstag
ist das Ergebnis der Berufung offen. Wir sammeln mit und für unsere Anwälte
Material, dass a) erhärten soll, dass die Brücke kein militärisch zulässiges
Ziel war oder auch nur sein konnte, dass tatsächlich keine militärische Nutzung
erfolgte, und b) dass die deutsche Regierung Einfluss auf die Zielauswahl hatte
bzw. dass einstimmige Zustimmung der NATO-Staaten vor einem Angriff auf ein
Ziel erforderlich war.
Die hohe Wahrscheinlichkeit
für alle Kläger – bis auf zwei, für die nicht beantragt wurde – PKH zu
erhalten, macht uns eine Fortführung des Verfahrens wesentlich leichter.
Die PR-Mitglieder Gordana
Milanovic und Harald Kampffmeyer werden am 5. und 6. März in Varvarin sein. Wir
werden den Klägern den aktuellen Stand berichten und weitere Entscheidungen mit
ihnen treffen.
Der Projektrat hält Sie auf
dem laufenden. Danke für die vielfältige Unterstützung, Solidarität mit den
Varvarinern und auch uns, dem PR gegenüber.
Im Auftrag des Projektrates
Harald Kampffmeyer