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Datum:   02.04.2001
Ressort:   Politik
Autor:   Andreas Förster

 

Die Brücke von Varvarin

Zivile Opfer eines Nato-Angriffs im Kosovo-Krieg wollen die Bundesrepublik verklagen

BERLIN, 1. April. Der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Dost bereitet eine Zivilklage vor, mit der jugoslawische Opfer eines Nato-Luftangriffs vor einem deutschen Gericht Schadenersatz von der Bundesrepublik erstreiten wollen. Gegenstand der Klage ist ein Angriff von Nato-Kampfflugzeugen auf die Kleinstadt Varvarin, bei dem zu Pfingsten 1999 zehn Dorfbewohner ums Leben kamen. Weitere 16 Zivilisten wurden schwer verletzt.

An jenem 30. Mai 1999 war wie jeden Sonntag Markt in Varvarin, das am Ufer des Flusses Morava liegt. Gegen 13. 25 Uhr tauchten plötzlich drei Nato-Jets am Himmel auf. Ein Flugzeug löste sich aus dem Verband und feuerte eine Rakete auf die Brücke, auf der sich gerade drei zivile Personenwagen sowie mehrere Fahrradfahrer und Fußgänger befanden.

Angst und Schrecken Nur wenige Minuten später flogen die Jets eine zweite Attacke auf die bereits zerstörte Brücke. Zu diesem Zeitpunkt bemühten sich gerade mehrere Dorfbewohner, die Opfer aus dem Fluss zu bergen. Dennoch feuerte ein Jet zwei weitere Raketen ab, durch die viele der Helfer verletzt und getötet wurden.

Nato-Sprecher Jamie Shea hatte seinerzeit den Angriff auf die Brücke von Varvarin als die Zerstörung eines "legitimen militärischen Ziels" gerechtfertigt. Anwalt Ulrich Dost sieht das jedoch anders. Für ihn handelt es sich bei dem Angriff auf die Brücke um ein Kriegsverbrechen. "Varvarin liegt mitten in Serbien, 180 Kilometer südlich von Belgrad und rund 200 Kilometer von der Grenze zum Kosovo entfernt", sagte Dost dieser Zeitung. In der Umgebung der 4 000 Einwohner zählenden Stadt habe es keine Armeeeinrichtungen gegeben, die Brücke sei nie von Militärtransporten passiert worden. Belgrader Familien hätten ihre Kinder vor den Bombenangriffen auf die jugoslawische Hauptstadt nach Varvarin in Sicherheit gebracht, das fernab vom Kosovo-Krieg lag. "Eindeutig galt daher der Angriff der Zivilbevölkerung, unter der die Nato Angst und Schrecken verbreiten wollte", sagte Dost. "Damit aber hat das Bündnis gegen das Genfer Abkommen und weitere, völkerrechtlich bindende Vereinbarungen zum Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte verstoßen. " Für die Schadenersatzklage sei es unerheblich, aus welchem Nato-Land die Flugzeuge stammten, sagte Dost. "Bundestag und Bundesregierung haben die Mitwirkung Deutschlands am Kosovo-Krieg beschlossen. Damit trägt die Bundesrepublik auch die völkerrechtliche Verantwortung für die Verletzung des Kriegsrechts. Dies gilt auch für eingetretene Personen- und Sachschäden: Da der Krieg von den Nato-Staaten gemeinschaftlich geführt wurde, haftet jeder von ihnen für das Ganze. " Seit vergangenem Sommer befasst sich Ulrich Dost mit dem Fall Varvarin. Mehrmals war er in Jugoslawien und hat im Archiv der - auch von der neuen Belgrader Führung geförderten - Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen recherchiert. Sein Fazit: "Varvarin war kein Einzelfall. Die meisten Nato-Luftangriffe wurden nicht auf militärische Ziele, sondern auf zivile Einrichtungen und die Zivilbevölkerung geflogen. " Derzeit bereitet der Anwalt seine nächste Reise nach Varvarin vor, wo er weitere Beweismittel zusammentragen will. Über die Höhe der Schadenersatzforderungen will er noch nichts sagen, aber er dämpft allzu hohe Erwartungen. "Mit Summen wie jetzt in Kanada, wo eine Klage von jugoslawischen Bürgern über 50 Millionen Dollar zugelassen wurde, können wir in Deutschland nicht hantieren", sagte er. Aber er habe auch den Eindruck, dass es den Menschen von Varvarin nicht vorrangig ums Geld gehe. "Ich glaube, viel wichtiger ist für sie, dass dieses Verbrechen gesühnt wird. " Dost will nicht ausschließen, dass der Varvarin-Klage weitere ähnliche Prozesse folgen werden. "Es gibt noch eine Reihe weiterer beweisbarer Verstöße gegen das Kriegsrecht durch die Nato, mit denen sich die Lüge von den Kollateralschäden im Kosovo-Krieg widerlegen lässt", sagte der Anwalt. "Mich treibt dabei aber auch die Frage um, ob die Bundestagsabgeordneten das, was in Varvarin und anderswo in Jugoslawien passiert ist, wollten, als sie der Teilnahme Deutschlands am Kosovo-Krieg zustimmten. "

 

Erste Klage in Europa // Bei dem Angriff auf die Brücke von Varvarin wurden zehn Menschen getötet. Weitere 16 Personen wurden schwer verletzt.

Die Schadenersatzklage, die jetzt vorbereitet wird, wäre europaweit die erste von jugoslawischen Opfern des Kosovo-Krieges.

Für die Prozesskosten der Kläger ist ein von der Vereinigung demokratischer Juristen geführtes Spendenkonto bei der Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00) eingerichtet worden. Kontonummer: 33522014. Verwendungszweck: Schadenersatz für Nato-Kriegsopfer.

DPA Am 30. Mai 1999 wurde diese Brücke, die bei Varvarin den Fluss Morava überspannt, von Nato-Kampfjets zerstört. Nato-Sprecher Shea verteidigte am Tag danach den Angriff als "militärisch legitim".

 

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