CDU-Landtagschefin
erwartet Mindestmaß an »Zurückhaltung«
Skandal im Erfurter Parlament: Ausstellung über NATO-Opfer im serbischen
Varvarin verboten
Von Peter
Liebers
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Der »Abräumer« schafft Platz für Meinungseinfalt
Foto: Sascha Fromm, Thüringer Allgemeine |
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Die Thüringer Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hat der
PDS-Fraktion verboten, eine Fotodokumentation über die Folgen eines
NATO-Raketenangriffs auf eine Brücke im jugoslawischen Varvarin zu zeigen.
Ich eröffne eine Ausstellung, die ich nicht eröffnen kann,«. So begrüßte am
Donnerstagabend die stellvertretende PDS-Fraktionschefin Karin Kaschuba die Gäste.
Die Ausstellung mit Fotos der Berliner Foto-Journalistin Gabriele Senft
berichten über »Die Brücke von Varvarin«. ND berichtete bereits mehrmals über
das Schicksal der Einwohner dieser serbischen Kleinstadt, die am 30. Mai 1999
aus heiterem Himmel von NATO-Kampfflugzeugen angegriffen worden war. Zehn
Zivilisten wurden dabei umgebracht, 17 schwer verletzt.
Der Andrang um die im Sitzungszimmer der Fraktion provisorisch ausgelegten
Bildtafeln war weit größer als bei ähnlichen Veranstaltungen. Sie hätten im
Rundfunk von dem Verbot erfahren und seien gerade deshalb gekommen, betonten
einige und äußerten ihr Unverständnis über das Verbot. Einzelne
Formulierungen der Bilddokumentation seien geeignet, »Organe der Bundesrepublik
Deutschland, insbesondere den Bundestag und die Bundeswehr zu diffamieren,« ließ
Parlamentschefin Lieberknecht verlauten. Innerhalb ihrer Räume stehe es den
Faktionen frei, ihre Meinung so pointiert zu propagieren. In den öffentlichen Räumen
sei aber »ein Mindestmaß an Zurückhaltung« geboten. Die Präsidentin kündigte
an, dass sich der Ältestenrat mit dem Vorgang beschäftigen werde.
Die Ausstellung, die bereits in Berlin und mehreren Orten
Mecklenburg-Vorpommerns, darunter im Schweriner Landtag gezeigt worden war,
schildert anhand von Fotos und Gesprächsprotokollen die Folgen von zwei
NATO-Raketenangriffen auf die militärfreie und strategisch unbedeutende Stadt.
Dabei hatte es den Piloten nicht gereicht, ohne Rücksicht auf die sich darauf
befindlichen Menschen, mit einem ersten Angriff die Brücke zu zerstören. Bei
einer zweiten Attacke bombardierten sie auch noch jene Menschen, die den Opfern
des ersten Angriffs zu Hilfe eilten.
»Wären in den Flugzeugen Menschen gewesen, die einen Befehl auszuführen
haben, und keine Mörder, da hätten sie doch die Möglichkeit nutzen müssen,
durch einen ersten tiefen Überflug die Menschen zu warnen, bevor sie Raketen
einsetzten,« hatte der konservative Bürgermeister von Varvarin, Zoran
Milenkovic, der seine 15-Jährige Tochter Sanja bei dem Angriff verloren hatte,
der Berliner Reporterin gesagt.
Dieser in der Ausstellung zitierte Satz wurde zum Stein des Anstoßes und löste
das Verbot aus. Da es die Fotoreporterin ablehnte, diese Tafel aus der
Ausstellung zu entfernen oder nur innerhalb der Fraktionsräume zu zeigen, rückten
eine drei viertel Stunde vor der geplanten Eröffnung Mitarbeiter der
Landtagsverwaltung an und hängten alle Bildtafeln ab. »Ich will keine
Provokation, ich will die Wahrheit zeigen,« sagte Senft gegenüber ND und fügte
an, dass es sie geschmerzt habe, als die Bilder der Toten von der Wand genommen
wurden. Ihr gehe es aber gerade um die politische Dimension. Die wird daran
deutlich, dass die Familie des Varvariner Bürgermeisters und weitere 26
Betroffene beim Berliner Landgericht eine Klage gegen die Bundesrepublik
Deutschland eingereicht haben und Schadenersatz fordern. Da dort bis Ende Mai über
40000 Mark Prozesskosten hinterlegt werden müssen, um das Gericht überhaupt tätig
werden zu lassen und eine Verjährung der Ansprüche zu verhindern, wird mit der
Ausstellung auch um Spenden geworben.
Dass der Rechtsstreit zumindest theoretisch nicht aussichtslos ist, machte
Harald Kampffmeyer vom Projektrat, der die Dokumentation initiiert hatte,
deutlich. Einem Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention von 1948 zufolge seien die
Verantwortlichen von Angriffen auf die Zivilbevölkerung für die Folgen dieser
Angriffe haftbar. Würde der Prozess gewonnen, könnte sich die Bundesrepublik
der zu befürchtenden Regressforderungen wegen künftig nicht mehr an solchen
Kriegseinsätzen beteiligen, betonte Kampffmeyer.
Die Reporterin habe dem Unwort »Kollateralschaden« ein Gesicht gegeben,
betonte PDS-Gastgeberin Kaschuba. Sie verwies zugleich darauf, dass die PDS als
einzige demokratische Partei in Deutschland konsequent gegen NATO-Kriegseinsätze
Stellung bezogen hat, weil Krieg und Gewalt immer wieder Krieg und Gewalt
hervorbringen. Deshalb werde die komplette Dokumentation in einem
Fraktionssitzungsraum gezeigt. Aus Sicht von Kaschuba kann der Eingriff der
Landtagspräsidentin nur als Form politischer Zensur bewertet werden. Die ist im
Thüringer Landtag allerdings nicht neu. Auch die Werbung für die Aktion »Mehr
Demokratie in Thüringen« musste seinerzeit auf Anweisung der Präsidentin vom
Flur der PDS entfernt werden.
Kenner der Verhältnisse wissen allerdings, dass Lieberknecht bei derartigen
Entscheidungen einem starken Druck der CDU-Fraktion ausgesetzt ist. Mitarbeiter
der CDU-Fraktion waren auch am Vorabend der Ausstellungseröffnung über den
PDS-Flur geschlichen und hatten die Bildtafeln inspiziert. CDU-Fraktionschef
Dieter Althaus warf der PDS vor, mit der Ausstellung alte Klischees und
Feindbilder zu bedienen. Das anhand des Inhaltes der Dokumentation zu belegen, dürfte
dem Pädagogen, der in der DDR stellvertretender Schuldirektor war, allerdings
schwer fallen.
Die angekündigte Auseinandersetzung im Ältestenrat wird mit einiger Spannung
erwartet. Regierungschef Bernhard Vogel (CDU) hatte zu Beginn der
Legislaturperiode betonte: »Wir wollen dienen und nicht herrschen.«
(ND 01.03.02)
Neues Deutschland
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