Deutschland muss nicht für Nato-Angriff zahlen

BGH weist Entschädigungsklage von Serben für Bombardement der Brücke von Varvarin 1999 ab

Andreas Förster

BERLIN. Deutschland muss serbischen Opfern eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens von Nato-Truppen im Jugoslawien-Krieg keine Entschädigung zahlen. Das entschied gestern der Bundesgerichtshof und bestätigte damit zwei gleichlautende Urteile des Landgerichts Bonn und des Oberlandesgerichts Köln. Einwohner des serbischen Ortes Varvarin hatten von der Bundesrepublik rund 3,5 Millionen Euro Schadenersatz gefordert, nachdem bei der Zerstörung einer Brücke des Ortes durch Nato-Kampfflugzeuge zehn Zivilisten getötet, 17 Zivilisten wurden schwer verletzt.

Keine Pflichtverletzung

Den am 30. Mai 1999, einem Pfingstsonntag, geflogenen Luftangriff auf die Brücke hatte Nato-Sprecher Jamie Shea seinerzeit als Bekämpfung eines "legitimen militärischen Ziels" gerechtfertigt. Für die Anwälte der 35 Kläger aus Varvarin handelt es sich bei dem Angriff dagegen um ein Kriegsverbrechen. Die Brücke sei ein ziviles Ziel gewesen, mit ihrer Zerstörung habe die Nato Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung verbreiten wollen, argumentieren sie. Das sei ein Verstoß gegen die Genfer Konvention und andere völkerrechtlich bindende Vereinbarungen.

Bis heute hält die Nato geheim, aus welchem Land die am Angriff beteiligten Kampfjets stammten. Aus Sicht der Klägeranwälte war dies für die Schadenersatzklage aber unerheblich: Da Bundestag und Bundesregierung die Mitwirkung Deutschlands am Kosovo-Krieg beschlossen und einer Liste militärischer Ziele in Serbien, auf der auch die Varvariner Brücke stand, zugestimmt hätten, trüge Deutschland die völkerrechtliche Verantwortung für die Verletzung des Kriegsrechts mit.

Der BGH wies diese Argumentation - wie auch schon die vorangegangenen Gerichtsinstanzen - in seiner gestrigen Entscheidung zurück. Dass die Brücke von Varvarin in die Zielliste von Nato-Luftoperationen aufgenommen wurde, sei keine Pflichtverletzung deutscher Dienststellen, stellten die Karlsruher Richter fest. Zu militärischen Zielen gehörten traditionell Infrastruktureinrichtungen wie etwa Brücken. Deutschland habe bei der Zustimmung zur Zielauswahl "darauf vertrauen dürfen, dass ein etwaiger Angriff unter Beachtung des Völkerrechts erfolgen werde", heißt es in der Pressemitteilung des BGH zu dem Urteil.

Grundsätzlich verwies das oberste deutsche Gericht zudem darauf, dass im Fall von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts Wiedergutmachungsansprüche nur dem Heimatstaat der Opfer, nicht jedoch Einzelpersonen zustünden. Offen bliebe den Klägern allerdings der Weg einer Amtshaftungsklage, erklärten die Richter, räumten aber gleichwohl einer solchen kaum Chancen ein. Aus Sicht des BGH wäre eine Amtspflichtverletzung in diesem Fall nur nachweisbar, wenn deutsche Dienststellen über das konkrete Angriffsziel und Einzelheiten des betreffenden Luftangriffs informiert gewesen wären. Dafür gebe es aber im Fall Varvarin keine Anhaltspunkte, so die Richter.

Berliner Zeitung, 03.11.2006

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