BERLIN. Deutschland muss serbischen Opfern eines mutmaßlichen
Kriegsverbrechens von Nato-Truppen im Jugoslawien-Krieg keine
Entschädigung zahlen. Das entschied gestern der Bundesgerichtshof
und bestätigte damit zwei gleichlautende Urteile des Landgerichts
Bonn und des Oberlandesgerichts Köln. Einwohner des serbischen Ortes
Varvarin hatten von der Bundesrepublik rund 3,5 Millionen Euro
Schadenersatz gefordert, nachdem bei der Zerstörung einer Brücke des
Ortes durch Nato-Kampfflugzeuge zehn Zivilisten getötet, 17
Zivilisten wurden schwer verletzt.
Keine Pflichtverletzung
Den am 30. Mai 1999, einem Pfingstsonntag, geflogenen Luftangriff
auf die Brücke hatte Nato-Sprecher Jamie Shea seinerzeit als
Bekämpfung eines "legitimen militärischen Ziels" gerechtfertigt. Für
die Anwälte der 35 Kläger aus Varvarin handelt es sich bei dem
Angriff dagegen um ein Kriegsverbrechen. Die Brücke sei ein ziviles
Ziel gewesen, mit ihrer Zerstörung habe die Nato Angst und Schrecken
unter der Zivilbevölkerung verbreiten wollen, argumentieren sie. Das
sei ein Verstoß gegen die Genfer Konvention und andere
völkerrechtlich bindende Vereinbarungen.
Bis heute hält die Nato geheim, aus welchem Land die am Angriff
beteiligten Kampfjets stammten. Aus Sicht der Klägeranwälte war dies
für die Schadenersatzklage aber unerheblich: Da Bundestag und
Bundesregierung die Mitwirkung Deutschlands am Kosovo-Krieg
beschlossen und einer Liste militärischer Ziele in Serbien, auf der
auch die Varvariner Brücke stand, zugestimmt hätten, trüge
Deutschland die völkerrechtliche Verantwortung für die Verletzung
des Kriegsrechts mit.
Der BGH wies diese Argumentation - wie auch schon die
vorangegangenen Gerichtsinstanzen - in seiner gestrigen Entscheidung
zurück. Dass die Brücke von Varvarin in die Zielliste von
Nato-Luftoperationen aufgenommen wurde, sei keine Pflichtverletzung
deutscher Dienststellen, stellten die Karlsruher Richter fest. Zu
militärischen Zielen gehörten traditionell
Infrastruktureinrichtungen wie etwa Brücken. Deutschland habe bei
der Zustimmung zur Zielauswahl "darauf vertrauen dürfen, dass ein
etwaiger Angriff unter Beachtung des Völkerrechts erfolgen werde",
heißt es in der Pressemitteilung des BGH zu dem Urteil.
Grundsätzlich verwies das oberste deutsche Gericht zudem darauf,
dass im Fall von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts
Wiedergutmachungsansprüche nur dem Heimatstaat der Opfer, nicht
jedoch Einzelpersonen zustünden. Offen bliebe den Klägern allerdings
der Weg einer Amtshaftungsklage, erklärten die Richter, räumten aber
gleichwohl einer solchen kaum Chancen ein. Aus Sicht des BGH wäre
eine Amtspflichtverletzung in diesem Fall nur nachweisbar, wenn
deutsche Dienststellen über das konkrete Angriffsziel und
Einzelheiten des betreffenden Luftangriffs informiert gewesen wären.
Dafür gebe es aber im Fall Varvarin keine Anhaltspunkte, so die
Richter.
Berliner Zeitung,
03.11.2006
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