Nato-Opfer erhalten keine Entschädigung
Kölner Gericht fällt Entscheidung zum Bombenangriff auf die serbische Stadt Varvarin / Revision zugelassen
Serbische Opfer eines Nato-Bomben- angriffs auf die Stadt Varvarin haben keinen Anspruch auf Schadenersatzzahlungen durch die Bundesrepublik Deutschland. Das entschied das Kölner Oberlandesgericht.
VON INGRID MÜLLER-MÜNCH

Morawa-Brücke im serbischen Varvarin (ap)
+ Morawa-Brücke im serbischen Varvarin (ap)
Amtshaftungsrecht
Ein Amtshaftungsanspruch hat seine Grundlage im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB und dem Grundgesetz GG. Der Begriff umschreibt einen Anspruch des Bürgers gegen den Staat wegen pflichtwidrigen Handelns staatlicher Organe. Ansprüche nach dem Amts- haftungsrecht können zum Beispiel von jemandem geltend gemacht werden, der über eine hochstehende Gehwegplatte stolpert und für die dabei erlittene Verletzung die Stadtverwaltung verklagt. Ob deutsches Amtshaftungsrecht auf Handlungen im Rahmen bewaffneter Konflikte anzuwenden sei, bleibt noch höchstrichterlich zu entscheiden. mm
Köln · 28. Juli · Der Prozess, über den das Kölner Oberlandesgericht am Donnerstag zu befinden hatte, war eine Premiere: Zum ersten Mal hatten Opfer einer aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung Klage gegen eines der Angriffsländer erhoben. 35 Überlebende eines Nato-Angriffs auf die serbische Stadt Varvarin hatten die Bundesrepublik stellvertretend für alle 19 Nato-Beteiligten am Kosovo-Krieg verklagt.

Das Kölner Oberlandesgericht wies ihre Klage am Donnerstag jedoch zurück, ebenso wie zuvor in erster Instanz das Bonner Landgericht. Beide Instanzen hatten sich auf das humanitäre Völkerrecht berufen, wonach nur ein Staat sein Recht auf Reparationszahlungen gegenüber einem anderen Staat geltend machen kann, niemals jedoch ein einzelner Bürger.

Die Bürger von Varvarin hatten mit ihrer Vorgehensweise juristisches Neuland betreten: Bislang mussten deutsche Gerichte lediglich über Kriegsverbrechen urteilen, die während des Zweiten Weltkriegs geschahen, jetzt zum ersten Mal über die Auswirkungen eines kriegerischen Konflikts jüngerer Zeit.

Zu den Klägern gehören die Eltern getöteter Kinder, die am 30. Mai 1999, zum Fest der Heiligen Dreifaltigkeit, über die kleine Brücke von Varvarin flanierten. Im Umfeld der Brücke waren mehr als 300 Marktstände aufgebaut, ein Festmahl fand im Freien statt, in der Kirche hatte man sich zum Gottesdienst versammelt. Plötzlich kreisten Nato-Kampfflugzeuge über der Stadt. Ohne Vorwarnung fielen die ersten Bomben, zerstörten die Brücke über die Morawa. Wenige Minuten später kamen die Bomber zurück, warfen erneut ihre explosive Fracht ab. Zehn tote Zivilisten gab es bei diesem Militäreinsatz, 30 Menschen wurden verletzt, darunter 17 schwer.

Bis heute ist ungeklärt, warum die Brücke von Varvarin überhaupt Angriffsziel war. Handelte es sich um eine Verwechslung mit einer 15 Kilometer entfernt liegenden Autobahnbrücke ? Unstrittig war für den Kölner OLG-Senat, dass an dem Raketenangriff keine deutschen Flugzeuge unmittelbar beteiligt waren. Ob jedoch deutsche Flieger den Nato-Bombern Begleitschutz gewährten, konnte nicht geklärt werden. Es lasse sich außerdem nicht feststellen, heißt es in der Urteilsbegründung, dass allein schon die Aufnahme dieser Brücke in die Ziellisten der Nato "offensichtlich völkerrechtswidrig gewesen sei".

Die Kläger hatten stets damit argumentiert, dass die Bundesregierung als Nato-Mitglied ein Vetorecht gegen dieses Zielobjekt gehabt und davon keinen Gebrauch gemacht habe. Für sie war der Angriff auf die Brücke ein klares Kriegsverbrechen. Den Bürgern von Varvarin ließ der Kölner Zivilsenat allerdings ein Hintertürchen offen. Da noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, ob nicht das deutsche Amtshaftungsrecht auf Handlungen im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen anzuwenden sei, wurde Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.

Kläger setzen nun auf Zivilrecht

Nun muss der BGH klären, ob die Überlebenden des Nato-Angriffs auf Varvarin nicht doch berechtigterweise Schadenersatz von der Bundesregierung fordern könnten. Allerdings nicht aufgrund völkerrechtlicher Regelungen, sondern mit Hilfe eines schlichten deutschen Zivilrechtsparagraphen.

Aktenzeichen: 7 U 8/04



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Dokument erstellt am 28.07.2005 um 17:44:24 Uhr
Erscheinungsdatum 29.07.2005


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