Bundesministerium der Verteidigung  
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Bonn, 24 August 2001
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Bundesministerium der Verteidigung – Postfach 13 28, 53003 Bonn
Rechtsanwaltskanzlei
Ulrich Dost & Cornelius Bortfeldt
Gartenstraße 108

10115 Berlin

nachrichtlich:
Bundeskanzleramt

Betr.:  


Bezug:
 

 

Luftangriff auf die Brücke von Varvarin am 30. Mai 1999;
hier:
Schadensersatzforderungen

1. Ihr Schreiben vom 18. Juni 2001 –do-kr\D2\D288 – an das Bundeskanzleramt
2. Bundeskanzleramt – Az 231-K 008 736/01/0001 – vom 28. Juni 2001

 

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Dost,

ihr Schreiben vom 18. Juni 2001, mit dem Sie Schadensersatz für die von Ihnen vertretenen Opfer des o. g. Luftangriffs fordern, wurde mir durch das Bundeskanzleramt zuständigkeitshalber zur Beantwortung zugeleitet.

Ich darf Ihnen vorab versichern, dass ich das bei der Zivilbevölkerung der Stadt Varvarin verursachte Leid zutiefst bedauere. Gleichwohl sehe ich mich außerstande, individuelle Schadensersatzforderungen der geschädigten Personen oder deren Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen.

Nach den Regeln des Völkerrechts über die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten steht den Staatsangehörigen einer Konfliktpartei grundsätzlich ein individueller Anspruch auf Schadenersatz gegen eine andere Konfliktpartei nicht zu. Nach ganz überwiegender Auffassung gilt im Völkerrecht der Grundsatz der "Mediatisierung des Einzelnen". Es wird fingiert, dass in der Person des Geschädigten dessen Heimatstaat geschädigt wurde. Der einzelne Geschädigte kann daher einen völkerrechtlichen Schadensersatzanpruch gegen einen anderen Staaten nicht vorbringen (vgl. BverfG, NJW 1996, 2717, 2719; OLG Köln – Az U 167/97 – vom 27.08.1998 ["Distomo"] – nicht rechtskräftig; BSG – Az B 9 59/00 – vom 13. September 2000; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, 878). Nur in Einzelfällen werden in jüngerer Zeit Indivdualansprüche dann anerkannt, wenn dies etwa in vertraglichen Schutzsystemen festgeschrieben ist (BverfG a.a. O.). Dies ist aber hier nicht der Fall.

Unabhängig davon, ob die übrigen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegeben wären, kann den von Ihnen vertretenen Personen aus völkerrechtlichen Grundsätzen also kein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland zustehen.

Aus nationalem (deutschem) Recht ergeben sich ebenfalls keine Ansprüche der Geschädigten oder deren Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Auch wenn grundsätzlich eine Anspruchsparallelität zwischen Völkerrecht und nationalem Recht gegeben sein kann (BverfG, NJW 1996, 2717, 2719), scheidet hier ein deliktischer Anspruch, der sich nur aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG (Amtshaftung) ergeben könnte, jedoch von vornherein bereits deswegen aus, weil die Regeln des internationalen Kriegsrechts diejenigen über die Amtspflichtverletzungen überlagern. § 839 BGB stellt nämlich eine Haftungsnorm für hoheitliches Handeln von deutschen Beamten (im haftungsrechtlichen Sinn auch Soldaten) in Friedenszeiten dar (OLG Köln, a.a.O.; ebenso Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 127 m.w.N.). Maßgebend ist insoweit, dass solche Schäden nicht durch Verwaltungstätigkeit im geordneten Staatsgang hervorgerufen werden.

Dieser Befund wird auch durch die gesetzgeberische Praxis bestätigt. Beispielsweise hat der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Folgen des zweiten Weltkrieges durch Erlass umfangreicher Gesetzeswerke und Umverteilungssysteme (z.B. Lastenausgleichsrecht, Wiedergutmachung, Besatzungsschäden, Gesetz zu Art. 131 GG) klargestellt, dass der auf §§ 74, 75 Einl. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten zurückgehende Aufopferungsanspruch nur für den "Normalfall" gedacht ist. Staatliche Katastrophenfälle, wie namentlich Kriege, sind somit nicht auf dieser Grundlage zu regulieren (vgl. Ossenbühl, a.a.O.). Dasselbe gilt aber auch für Ansprüche aus Amtshaftung, die ebenfalls nur für den "Normalfall", also den Friedensbetrieb geltend gemacht werden können. In Fällen des Aus-gleichs kriegsbedingter Schäden sind Amtshaftungsansprüche mithin ausgeschlossen.

Selbst wenn die Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze auch im Fall bewaffneter Auseinandersetzungen bejaht werden könnte, und die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift (Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht, Verschulden, kein Haftungsausschluss) – ausgehend von Ihrer Sachverhaltsschilderung – gegeben wären, ließe sich das Verhalten der Piloten bei der Zerstörung der Brücke von Varvarin nicht der Bundesrepublik Deutschland zurechnen.

Zunächst ist festzustellen, dass an diesem Angriff weder deutsche Soldaten noch Luftfahrzeuge der Bundeswehr beteiligt waren. Dies wird von Ihnen auch nicht behauptet.

Mithin könnte eine haftungsrechtliche Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland nur dann erwachsen, wenn Handlungen anderer NATO-Staaten der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden müssten. Dies könnte allerdings – da es um die Haftung aufgrund nationaler Vorschriften geht – wiederum nur nach Maßgabe der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Zurechnung von deliktischen Handlungen erfolgen.

Nach § 840 Abs. 1 BGB kommt eine gesamtschuldnerische (Mit-) Haftung nur dann in Betracht, wenn jeder der in Frage kommenden Anspruchsgegner als Nebentäter oder gemeinschaftlich (§ 830 Satz 1 BGB) eine unerlaubte Handlung begangen oder hierzu angestiftet bzw. Hilfe geleistet (§ 830 Abs. 2 BGB) haben.

Dies ist hier zweifelsfrei nicht der Fall. Insbesondere können solche Handlungen nicht zugerechnet werden, die sich – die Richtigkeit des Sachverhalts unterstellt – als bewusste Überschreitung des "ius in bello" darstellen. Es wird nicht ernsthaft behauptet werden können, dass die Bundesrepublik Deutschland eine vermeidbare Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung billigend in Kauf genommen hätte.

Auch aus § 830 Satz 2 BGB lässt sich keine Zurechnung ableiten. Dies wäre nur dann möglich, wenn mehrere Personen gehandelt hätten, sich aber nicht ermitteln lässt, wer von diesen den Schaden durch die Handlung verursacht haben. Da hier zweifelsfrei feststeht, dass deutsche Soldaten an der Luftoperation nicht beteiligt waren, liegt auch keine "Handlung" von deutscher Seite vor, so dass auch von Dritten verursachte Schäden nicht zugerechnet werden können.

Schließlich könnte das Verhalten anderer NATO-Staaten auch nicht – außerhalb bürgerlichrechtlicher Vorschriften – nach Art. VIII Abs. 5 lit. E (ii) bzw. (iii) des NATO-Truppenstatuts (NTS) der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden, da diese Regelungen nur für das Gebiet der Vertragsparteien gelten (vgl. Art. VIII Abs. 5 Satz 1 i.V. m. Art. I Abs. 1 lit. E NTS sowie Art. XX Abs. 1 NTS). Die geltend gemachten Schäden sind im vorliegenden Fall jedoch außerhalb des Gebietes der Vertragsparteien des NTS entstanden.

Nach alledem besteht für die Anerkennung von Schadensersatzansprüchen kein Raum.

Mt freundlichen Grüßen