Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Dost,
ihr Schreiben vom 18. Juni 2001, mit dem Sie Schadensersatz
für die von Ihnen vertretenen Opfer des o. g. Luftangriffs fordern, wurde mir
durch das Bundeskanzleramt zuständigkeitshalber zur Beantwortung zugeleitet.
Ich darf Ihnen vorab versichern, dass ich das bei der
Zivilbevölkerung der Stadt Varvarin verursachte Leid zutiefst bedauere.
Gleichwohl sehe ich mich außerstande, individuelle Schadensersatzforderungen
der geschädigten Personen oder deren Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik
Deutschland anzuerkennen.
Nach den Regeln des Völkerrechts über die
haftungsrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten steht den Staatsangehörigen
einer Konfliktpartei grundsätzlich ein individueller Anspruch auf Schadenersatz
gegen eine andere Konfliktpartei nicht zu. Nach ganz überwiegender Auffassung
gilt im Völkerrecht der Grundsatz der "Mediatisierung des Einzelnen".
Es wird fingiert, dass in der Person des Geschädigten dessen Heimatstaat
geschädigt wurde. Der einzelne Geschädigte kann daher einen völkerrechtlichen
Schadensersatzanpruch gegen einen anderen Staaten nicht vorbringen (vgl. BverfG,
NJW 1996, 2717, 2719; OLG Köln – Az U 167/97 – vom 27.08.1998
["Distomo"] – nicht rechtskräftig; BSG – Az B 9 59/00 – vom 13.
September 2000; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, 878).
Nur in Einzelfällen werden in jüngerer Zeit Indivdualansprüche dann
anerkannt, wenn dies etwa in vertraglichen Schutzsystemen festgeschrieben ist
(BverfG a.a. O.). Dies ist aber hier nicht der Fall.
Unabhängig davon, ob die übrigen Voraussetzungen eines
Schadensersatzanspruchs gegeben wären, kann den von Ihnen vertretenen Personen
aus völkerrechtlichen Grundsätzen also kein Anspruch gegen die Bundesrepublik
Deutschland zustehen.
Aus nationalem (deutschem) Recht ergeben sich ebenfalls keine
Ansprüche der Geschädigten oder deren Hinterbliebenen gegen die Bundesrepublik
Deutschland.
Auch wenn grundsätzlich eine Anspruchsparallelität zwischen
Völkerrecht und nationalem Recht gegeben sein kann (BverfG, NJW 1996, 2717,
2719), scheidet hier ein deliktischer Anspruch, der sich nur aus § 839 BGB
i.V.m. Art. 34 GG (Amtshaftung) ergeben könnte, jedoch von vornherein bereits
deswegen aus, weil die Regeln des internationalen Kriegsrechts diejenigen über
die Amtspflichtverletzungen überlagern. § 839 BGB stellt nämlich eine
Haftungsnorm für hoheitliches Handeln von deutschen Beamten (im
haftungsrechtlichen Sinn auch Soldaten) in Friedenszeiten dar (OLG Köln,
a.a.O.; ebenso Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 127 m.w.N.).
Maßgebend ist insoweit, dass solche Schäden nicht durch Verwaltungstätigkeit
im geordneten Staatsgang hervorgerufen werden.
Dieser Befund wird auch durch die gesetzgeberische Praxis
bestätigt. Beispielsweise hat der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Folgen des
zweiten Weltkrieges durch Erlass umfangreicher Gesetzeswerke und
Umverteilungssysteme (z.B. Lastenausgleichsrecht, Wiedergutmachung,
Besatzungsschäden, Gesetz zu Art. 131 GG) klargestellt, dass der auf §§ 74,
75 Einl. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten zurückgehende
Aufopferungsanspruch nur für den "Normalfall" gedacht ist. Staatliche
Katastrophenfälle, wie namentlich Kriege, sind somit nicht auf dieser Grundlage
zu regulieren (vgl. Ossenbühl, a.a.O.). Dasselbe gilt aber auch für Ansprüche
aus Amtshaftung, die ebenfalls nur für den "Normalfall", also den
Friedensbetrieb geltend gemacht werden können. In Fällen des Aus-gleichs
kriegsbedingter Schäden sind Amtshaftungsansprüche mithin ausgeschlossen.
Selbst wenn die Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze
auch im Fall bewaffneter Auseinandersetzungen bejaht werden könnte, und die
übrigen Voraussetzungen der Vorschrift (Verletzung einer drittbezogenen
Amtspflicht, Verschulden, kein Haftungsausschluss) – ausgehend von Ihrer
Sachverhaltsschilderung – gegeben wären, ließe sich das Verhalten der
Piloten bei der Zerstörung der Brücke von Varvarin nicht der Bundesrepublik
Deutschland zurechnen.
Zunächst ist festzustellen, dass an diesem Angriff weder
deutsche Soldaten noch Luftfahrzeuge der Bundeswehr beteiligt waren. Dies wird
von Ihnen auch nicht behauptet.
Mithin könnte eine haftungsrechtliche Verantwortung der
Bundesrepublik Deutschland nur dann erwachsen, wenn Handlungen anderer
NATO-Staaten der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden müssten. Dies
könnte allerdings – da es um die Haftung aufgrund nationaler Vorschriften
geht – wiederum nur nach Maßgabe der Regelungen des Bürgerlichen
Gesetzbuches über die Zurechnung von deliktischen Handlungen erfolgen.
Nach § 840 Abs. 1 BGB kommt eine gesamtschuldnerische (Mit-)
Haftung nur dann in Betracht, wenn jeder der in Frage kommenden
Anspruchsgegner als Nebentäter oder gemeinschaftlich (§ 830 Satz 1 BGB) eine
unerlaubte Handlung begangen oder hierzu angestiftet bzw. Hilfe geleistet (§
830 Abs. 2 BGB) haben.
Dies ist hier zweifelsfrei nicht der Fall. Insbesondere
können solche Handlungen nicht zugerechnet werden, die sich – die Richtigkeit
des Sachverhalts unterstellt – als bewusste Überschreitung des "ius in
bello" darstellen. Es wird nicht ernsthaft behauptet werden können, dass
die Bundesrepublik Deutschland eine vermeidbare Beeinträchtigung der
Zivilbevölkerung billigend in Kauf genommen hätte.
Auch aus § 830 Satz 2 BGB lässt sich keine Zurechnung
ableiten. Dies wäre nur dann möglich, wenn mehrere Personen gehandelt hätten,
sich aber nicht ermitteln lässt, wer von diesen den Schaden durch die Handlung
verursacht haben. Da hier zweifelsfrei feststeht, dass deutsche Soldaten an der
Luftoperation nicht beteiligt waren, liegt auch keine "Handlung" von
deutscher Seite vor, so dass auch von Dritten verursachte Schäden nicht
zugerechnet werden können.
Schließlich könnte das Verhalten anderer NATO-Staaten auch
nicht – außerhalb bürgerlichrechtlicher Vorschriften – nach Art. VIII Abs.
5 lit. E (ii) bzw. (iii) des NATO-Truppenstatuts (NTS) der Bundesrepublik
Deutschland zugerechnet werden, da diese Regelungen nur für das Gebiet der
Vertragsparteien gelten (vgl. Art. VIII Abs. 5 Satz 1 i.V. m. Art. I Abs. 1 lit.
E NTS sowie Art. XX Abs. 1 NTS). Die geltend gemachten Schäden sind im
vorliegenden Fall jedoch außerhalb des Gebietes der Vertragsparteien des NTS
entstanden.
Nach alledem besteht für die Anerkennung von
Schadensersatzansprüchen kein Raum.
Mt freundlichen Grüßen
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