Matthias Küntzel
Die Rolle der Bundesrepublik bei der Vorbereitung des Krieges
Stellungnahme vor dem 2. Internationalen Hearing des Europäischen Tribunals über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien
am 16. April 2000 in Hamburg.1991 reiste erstmals eine Delegation des deutschen Bundestages in das Kosovo, um auch mit nationalistischen Kosovo-Albanern Gespräche zu führen. Schon damals im Frühjahr 1991! - äußerte ein führendes Mitglied des jugoslawischen Parlaments die Befürchtung, "die Engländer und die Deutschen würden gemeinsam eine Eingreiftruppe von 70 000 Soldaten bilden, um im Kosovo .. . zu intervenieren." 1) Welch frühe, welch prophetische Warnung!
Sind Deutschland und die rot-grüne Bundesregierung in den Kosovo-Krieg mehr oder weniger "gutwilIig, überfordert, am Ende machtlos" hineingeschliddert, wie die "Zeit" formuliert? War dies "ein amerikanischer Krieg", der nach 78 Tagen "durch einen deutschen Frieden" beendet wurde, wie der "Spiegel" suggeriert? Standen sich tatsächlich hier die skrupellose und arrogante Kriegsmaschine USA und dort die in emsiger Kärrnerarbeit stets für den Frieden nur wirkende deutsche Politik gegenüber? Wer die Wahrheit in den Tatsachen sucht und die Vorgeschichte dieses Krieges nüchtern-sezierend analysiert, kommt unweigerlich zu einem anderen Schluss:
Kein anderes Land hat zwischen 1991 und 1999 den Kosovo-Konflikt so angeheizt wie Deutschland. Keine andere Macht hat sich so unverhohlen als Schutzmacht der UCK profiliert wie die deutsche. So eindeutig die USA im März letzten Jahres den Hauptpart bei der Bombardierung Jugoslawiens übernahmen und dafür ohne Abstriche politisch, moralisch und materiell verantwortlich zu machen sind, so avantgardistisch hat Deutschland zwischen dem März 1998 und dem März 1999 den Konflikt im Kosovo angestachelt und auf einen Nato-Krieg gegen Jugoslawien gedrängt.
I.
1991 hatte die Bundesregierung unter der Flagge eines völkischen Selbstbestimmungsrechts Kroatiens und Sloweniens im Alleingang anerkannt und so den späteren Bosnienkrieg maßgeblich provoziert. Hierüber weiß man relativ gut Bescheid. Weitaus weniger bekannt ist die Tatsache, dass der 1991 eingeschlagene Kurs 1995 in Bezug auf das Kosovo fortgesetzt worden ist. In diesem Jahr unterzeichnete die Bundesregierung in Tirana eine deutsch-albanische Grundsatzerklärung, die "zur Lösung der Kosovo-Frage", wie es dort wörtlich heißt, ein Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner und damit de facto deren Recht auf Sezession ausdrücklich bejaht und propagiert.2) Dies war die Ankündigung, Jugoslawien mit dem Instrument einer völkisch ausgerichteten "Selbstbestimmungs"-Politik noch weiter zerstückeln zu wollen.
Gemäß dieser Orientierung tat die Bundesregierung in der Folgezeit alles, um den Separatismus der Kosovo-Albaner anzufeuern: Obwohl die seit 1990 entwickelten parallelen Institutionen der kosovo-albanischen Nationalisten die Mehrheitsbevölkerung des Kosovo systematisch aus dem jugoslawischen Zusammenleben ausgliederten, wurden dieser organisierte Separatismus in erster Linie von Deutschland aus finanziert und von der Bundesregierung unterstützt. Um die Kosovo-Krise voranzutreiben und den schwelenden Konflikt scharf zu machen wurde spätestens seit 1996 der Aufbau der militanten UCK vom Bundesnachrichtendienst finanziell gefördert und personell betreut. 3)
Die Förderung der sezessionistischen Bewegungen im Kosovo war in dieser Frühphase ein deutscher Alleingang. "Die amerikanische Regierung sieht es ungern, dass sich die deutsche auf dem Kosovo politisch engagiert", konstatierte 1997 beispielsweise Johann Georg Reißmüller, der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 4) In der Tat gab und gibt es in Sachen "völkischer Selbstbestimmung" und "Volksgruppen-Sezession" eine Zieldifferenz zwischen Deutschland und den USA. Diese Differenz, die sich 1999 aufgrund der amerikanischen Kriegsführung an der Seite der UCK abgeschwächt hatte, erhält nun - im Nachkrieg um den endgültigen Status des Kosovo - neues Gewicht.
Während die amerikanische Außenministerin Albright im März dieses Jahres jedweder Großalbanien-Konzeption eine klare Absage erteilte, steuert die deutsche Politik auf eben dieses Großalbanien zu. Für den außenpolitischen Sprecher der CDU, Karl Lamers, ist die Nato-Stationierung im Kosovo, wie er vor dem Bundestag bekannte, "nur ein erster Schritt zur Loslösung des Kosovo von Jugoslawien" und das unabhängige Kosovo "nur der Zwischenschritt zu einem Anschluss an Albanien." 5) Voller Genugtuung konnte Lamers vor wenigen Tagen im Bundestag darauf verweisen, "dass alles, was wir faktisch tun, etwa die Schaffung eines neuen Währungsgebiets, auf eine Unabhängigkeit (des Kosovo) und nicht auf eine Autonomie (im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien) hinausläuft." 6) Doch auch die rot-grüne Bundesregierung erkennt das Kosovo schon längst nicht mehr als einen integralen Bestandteil der Republik Jugoslawien an. Aus eben diesem Grund ließ der bündnisgrüne Außenminister in seiner Regierungserklärung vom 5. April 2000 "den künftigen Status des Kosovo" im Ungefähren, da jene Statusfrage angeblich "jetzt nicht lösbar" sei. An anderer Stelle ließ er keinen Zweifel, welche Lösung ihm vor Augen steht: "Die internationale Gemeinschaft ist im Kosovo und auf dem Balkan", erklärte er gegenüber dem Deutschland-Korrespondenten der "Le Monde", "um zu zeigen, dass die ‚albanische Frage‘ nach dem Vorbild der ‚deutschen Frage‘ im Jahre 1990 nicht ohne Zustimmung der Nachbarn geregelt werden kann. 7) Eine Regelung der "albanischen Frage" nach dem deutschen Vorbild von 1990? Offenkundig strebt auch Fischer mit Hilfe des völkisch ausgerichteten Rechts auf Selbstbestimmung das Fernziel "Großalbanien" an. Mit dieser Positionierung stemmt sich Fischer nicht allein gegen die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats und die Mehrheitsposition der Europäischen Union. Sondern damit stachelt er zugleich die Ausrottungswut des albanischen Nationalismus frei nach dem Motto: Je mehr Serben heute getötet und verjagt werden, desto größer wird morgen das wiedervereinigte Albanien sein, weiter an.
1997 war das Jahr, in dem die latente Krise im Kosovo in ihr akutes Stadium umschlug. Nach Auflösung der albanischen Armeebestände konnte sich die UCK im großen Stil bewaffnen und ihren lang ersehnten völkisch-sezessionistischen Aufstand großflächig in die Tat umsetzen. Diese Entwicklung und die durchaus kritikwürdige Reaktionen der serbischen Sonderpolizei rückten das Kosovo im März 1998 in die Schlagzeilen der Weltpresse und in das Visier aller großen Nato-Mächte. Wie verhielten sich nun Deutschland und die USA?
"Washington schwankt noch wie es reagieren soll", hieß es in einem später veröffentlichten Rückblick der "Zeit". Der politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Wolfgang Ischinger, wurde in die USA geschickt. "Jetzt ist amerikanische Führungskraft gefragt, bedrängt Wolfgang Ischinger seinen Kollegen Strobe Talbott in Washington", heißt es weiter in der "Zeit" 8)
Dieses Muster: die Bundesregierung bedrängt die amerikanische Regierung, bzw. einen bestimmten Flügel der amerikanischen Regierung, etwas zu tun - wird zwischen dem März 1998 und dem März 1999 in immer neuen Varianten wiederholt. Damit bin ich beim zweiten Punkt meiner Skizze, der unmittelbaren Vorkriegszeit, angelangt.
II.
Während die amerikanische Regierung bis zum sogenannten "Massaker von Racak" im Januar 1999 in mehrere Fraktionen gespalten war, politisch schwankte, situativ reagierte und nicht wusste, wie auf den albanischen Nationalismus am besten zu reagieren sei 9) verfügte die deutschen Politik spätestens seit dem März 1998 über eine Art masterplan, wie auf den Sezessionswunsch der Kosovo-Albaner und die UCK-Militanz zu reagieren sei. Bereits am 16. März 1998 gab der inoffizielle deutsche Balkanbeauftragte, der ehemalige Postminister Schwarz-Schilling öffentlich bekannt, worum es der deutschen Politik nun vordringlich ging:
"Wir sollten versuchen, durch großen Druck bis zu militärischen Einsätzen Milosevic klarzumachen, dass das Kosovo nur so lange von ihm beansprucht werden kann als Teil der Republik Jugoslawien, solange bestimmte Grundlagen hergestellt werden. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss . . . man unter Umständen ein solches Gebiet in eine Art Protektorat umsetzten, bis entsprechende Vorbedingungen geschaffen sind." 10)
Diese Protektoratsidee, die von nun an im Zentrum der Kosovo-Politik der Regierung Kohl/Kinkel wie auch der Regierung Schröder/Fischer stand, setzte die Stationierung internationaler Armeeeinheiten im Kosovo voraus. Folgerichtig warf die Bundesregierung erstmals im März 1998 die Frage einer Besetzung des Kosovo durch Nato- oder UN-Truppen im Rahmen der internationalen Kontakgruppe auf. Die Protektoratsidee war nur gewaltsam gegen den Willen der Belgrader Staatsführung durchzusetzen. Folgerichtig verschärfte Deutschland - oft im Einklang mit dem Albright-Flügel im State Department - ihren antiserbischen Kurs: Milosevic wurde und blieb das Hauptangriffsziel, egal, was immer er im Konkreten tat.
Noch aber orientierten Großbritannien, Frankreich, Italien und der dominierende Flügel des US-Regierung auf eine Politik des Dialogs. Die UCK wurde als "terroristisch" verurteilt, die serbische Sommeroffensive gegen die UCK indirekt unterstützt und Milosevic und die gemäßigten Kosovo-Albaner um Ibrahim Rugova zum Dialog aufgerufen. Da es jedoch der UCK immer wieder gelang, diese Dialogpolitik mit bewaffneten Provokationen zu' torpedieren, war bald klar, dass der Weg des Dialogs chancenlos bleiben müsste, solange die Waffen. und Rekrutenlieferungen an die UCK anhielten, durch welche der völkische Guerillakampf sich weiter eskalierte.
Aus diesem Grund konzentrierten sich im Frühsommer 1998 die Anstrengungen der Vereinten Nationen, der OSZE und übrigens auch der amerikanischen Regierung auf das Vorhaben, den Waffenschmuggel in das Kosovo mittels Truppenstationierungen an der albanischen Grenze zu unterbinden. Die der UCK ebenfalls feindlich gesonnene albanische Regierung unter Fatos Nano stimmte dem Vorhaben zu, erste konkrete Planungen der Nato liefen an.
Nun aber trat der stärkste Verbündete der UCK aus seiner Deckung hervor: Deutschland legte gegen die Unterbindung von Waffenlieferungen an die UCK sein Veto ein. "Natürlich muß man sich überlegen", erklärte im Juli 1998 der damalige Außenminister Klaus Kinkel, "ob man von der moralisch-ethischen Seite her die Kosovo-Albaner vom Kauf von Waffen zur Selbstverteidigung abhalten darf". 11) Das eindeutige "Nein" wurde vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe formuliert: "Das Problem Kosovo kann nicht gelöst werden, indem ich Truppen nach Albanien schicke, dort die Grenze zum Kosovo dichtmache und so das Geschäft des Herrn Milosevic betreibe." 12)
Diese unverhohlene deutsche Parteinahme für die UCK war ein deutscher Alleingang von derselben provokativen Qualität wie die Parteinahme für den kroatischen Präsidenten Tudjman im Dezember 1991 , 50 Jahre nach Errichtung des faschistischen Ustascha-Staats.
Erneut stand Deutschland mit dieser Position allein in der Welt. Erneut galt die deutsche Schützenhilfe einer Bewegung mit nationalsozialistischem Hintergrund, einer Bewegung nämlich, die sich zu einem Großteil aus Kindern und Enkeln derjenigen Männer rekrutiert, die 1944 Mitglied der von den Nazis etablierten und in Prizren stationierten SS-Division "Skanderbeg" gewesen sind. Die "Nationale Front" Albaniens ("Balli Kombetar"), die 1943/44 mit den Nazis kollaborierte, prahlt heute noch mit ihrem Einfluß in der UCK, die nicht nur mit bestimmten Gebräuchen, sondern auch mit ihren völkischen Utopien an die gelobten Zustände während der Nazi-Besatzungszeit unmittelbar anknüpft. 13)
Denn das Programm der "ethnischen Säuberung", das Deutschland 1941 nach Jugoslawien exportierte, ist seither das Programm des radikalen kosovo-albanischen Nationalismus, das seit 1943/44 und während der ganzen 80er Jahre hindurch aus nur zwei zentralen Punkten bestand: "Das zu etablieren, was sie eine ethnisch gesäuberte Albanische Republik nennen, um sich anschließend mit Albanien zur Bildung eines Großalbanien zu vereinen" - so im Jahre 1982 die New York Times.14) Niemand konnte 1999 ernsthaft überrascht sein, dass nun, unter der Herrschaft der UCK, die mörderischen völkischen Exzesse gegen alle sogenannten "Nicht-Albaner" blutiger Alltag geworden sind. Die Kritik an der deutschen Förderung der UCK, die für sich genommen berechtigt genug ist, bleibt unvollständig, sofern sie diesen Zusammenhang, diese fatale und für die Minderheiten im Kosovo damals wie heute todbringende Kontinuität nicht erfasst.
Während es im Sommer 1998 den USA noch um die richtige Methode der Zerschlagung der UCK ging, stand Deutschland als UCK-Schutzmacht auf der anderen Seite der Front. Damit stießen innerhalb der Nato zwei sich widersprechende Zielvorstellungen aufeinander: Sollte die Nato Hinderungsmittel gegen oder Hilfsmittel für die UCK sein? Sollte sie als eine Art Luftwaffe für die UCK dazu beitragen, Serbien zu verkleinern und Ländergrenzen zu revidieren oder sollte sie als Kontrahent der UCK dem militanten Sezessionismus einen Riegel vorschieben?
Die deutsche lntransingenz in dieser Frage gab im Sommer 1998 den Ausschlag für die strategische Entscheidung der Nato, die UCK zu fördern, statt zu verdammen.
Nachdem Deutschland schon in diesem Punkt "seinen Führungswillen bewiesen" hatte, wie ein Kommentar der FAZ ausdrücklich lobte, 15) begann sich Deutschland nun auch als Vorreiter für eine Nato-Intervention im Kosovo zu profilieren. Ich deute einige Etappen dieses Prozesses hier nur an:
"Kinkel droht mit Eingreifen der Nato im Kosovo" - verkündeten am 5. Juni 1998 die Schlagzeilen der Tageszeitungen. "Die Vereinigten Staaten lehnen im Gegensatz zu Deutschland eine schnelle Entscheidung über ein militärisches Eingreifen ab", kommentierte einen Tag darauf die FAZ.16) Ebenfalls im Juni hatte Volker Rühe als erstes europäisches Regierungsmitglied einen Nato-Krieg notfalls auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats propagiert. Dieses Vorstoß, der die UN-Charta, den Zwei-plus-Vier-Vertrag und das Grundgesetz in Papierfetzen riss und der anfangs zwar nicht von Helmut Kohl, wohl aber seit Juni 1 998 von Rudolf Scharping und Joschka Fischer unterstützt wurde - dieser Vorstoß wurde später von den USA dankbar aufgegriffen, da er in ihre langfristigen Nato-Vorstellungen hervorragend zu integrieren war. 17)
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Bundesrepublik sich nicht nur der zahlreichen Verbrechen schuldig gemacht hat, die mit der Bombardierung Jugoslawiens untrennbar verbunden sind. Vielmehr hat Deutschland langfristig und stringent auf die Entfachung dieses Krieges und die Besetzung des Kosovo durch deutsche und andere Nato-Truppen hingearbeitet. Das zielgerichtet in die Wirklichkeit umgesetzte Konzept umfasste vier Punkte:
- Frontstellung gegen Belgrad,
- uneingeschränkte Parteinahme für die Gruppen der Kosovo-Albaner, die eine Loslösung von Jugoslawien und den Anschluß an Albanien fordern,
- Orientierung auf einen Nato-Angriff, um so ein Nato-Protektorat Im Kosovo durchzusetzen, dass jedoch
von Anfang an nur als ein Zwischenschritt zur vollständigen Abtrennung des Kosovo von Serbien und Jugoslawien konzipiert war.
In amerikanischen Regierungskreisen ist man über den besonderen Aktivismus und die besondere Stoßrichtung der deutschen Politik weitaus besser informiert als in der Friedensbewegung oder der deutschen Linken. Brzezinski charakterisierte die Berliner Republik als "geostrategischen Hauptakteur" und als "umtriebige, von einer ehrgeizigen Vision beflügelte Großmacht", während der stellvertretende Außenminister der USA, Strobe Talbott, nur wenige Tage vor Beginn der "Verhandlungen von Rambouillet" Deutschland zum Zentrum des gegenwärtigen, die Nato ebenso wie den Balkan erschütternden geopolitischen Erdbebens und, so wörtlich, zum "Epizentrum dieser Prozesse - Erweiterung und Expansion, Ausdehnung und Vertiefung" erklärte 18)
Doch selbst dann, wenn Großbritannien, Frankreich und die USA mit ihrer Kriegspolitik auf die Impulse dieses Epizentrums lediglich reagiert haben sollten, würde dies an derer spezifischer Verantwortung für die in Jugoslawien begangenen Verbrechen nichts ändern, sondern einzig von dem irrationalen Zug der kapitalistisch verfassten Weltordnung zeugen, deren destruktive Wurzeln der Kosovo-Krieg an die Oberfläche gebracht hat.
Das vorpreschende Selbstbewusstsein aber, mit der diese deutsche Kosovo-Linie exekutiert wurde, basierte auf einer Gewissheit, von der die Regierungen der anderen Nato-Mächte nicht ohne weiteres ausgehen können - auf der Gewissheit nämlich, keinen bedeutsamen innenpolitischen Debatten oder Widersprüchen unterworfen, sondern von einer fast einhelligen öffentlichen Zustimmung getragen zu sein. Insofern trifft auch für diesen Krieg zu, was der norwegische Publizist Johan Galtung über den Kontext der deutschen Anerkennungspolitik von 1991 einst formulierte: 19) "Ich sage, dass Deutschland hier ein Verbrechen begangen hat." Und doch sei nicht die Regierung das Hauptproblem. Weitaus bedrückender sei, "dass man das nicht diskutiert hat. Das Schlimmste hat eigentlich mit der Öffentlichkeit in Deutschland zu tun."
Anmerkungen:
1) Aus diesem, in der Zeitschrift Polityka veröfftentlichten Aufsatz zitierte am 16. Juni 1991 in einer Bundestagsrede Peter Glotz.
2) vgl. Archiv der Gegenwart 1995, S. 39819f.
3) Ausführlich dargestellt in: M Küntzel, Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo, Berlin 2000, S.59ff.
4) J.G.Reißmüller, Wenn Amerika nicht wäre, in: FAZ, 10 März 1997.
5) Stenographisches Protokoll der Bundestagssitzung vom 15. April 1999, S. 2650.
6) Stenographisches Protoko1l der Bundestagssitzung vom 5. April 2000, S. 9012.
7) vgl. Klaus von Raussendorf, Fischers Ringen um Hegemonie, in: Junge Welt, 14. April 2000.
8) Gunter Hoffmann, Wie Deutschland in den Krieg geriet, in: Die Zeit, 12. Mai 1999.
9) Siehe ausführlich zur Rolle der USA im Vorfeld des Kosovo-Kriegs. M. Küntzel, a.a.o..
10) So Schwarz-Schilling am 16. März 1998 im Deutschlandradio, zit. nach Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Stichworte zur Sicherheitspolitik, April 1998, S.47.
11) Interview mit Klaus Kinkel in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli 1998.
12) vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 1998.
13) Siehe zur Bedeutung des Kosovo während der NS-Besatzungsjahre: M. Küntzel, a.a.O., S. 79ff.
14) So Becir Holi, der damalige KP-Sekretär albanischer Herkunft in Kosovo, zit. nach Marvine Howe, Exodus of Serbians Stirs Province in Yugoslavia, in: New York Times, 12. Juli 1982.
15) FAZ, 26. September 1998.
16) FAZ, 6. Juni 1998.
17) "Rühe erklärte, dass die Nato-Aktion selbst ohne UN-Reso1ution in Angriff genommen werden könnte", schrieb die Times (London) am 15. Juni 1998. Am 16. Juni 1998 berichtete die FAZ, dass Scharping einen UN-Beschluss für wünschenswert halte. Aber, so Scharping, "es kann notwendig werden, . . , äußerstenfalls auch vorher militärisch einzugreifen." Schon am 10. Juni 1998 wurde Joschka Fischer in der FAZ mit den Worten zitiert, er könne sich "eine Situation konstruieren, in der ein UN-Mandat hinfällig wird." Nachdem die Wehrmacht im März 1939 Prag besetzt und damit das Münchener Abkommen von 1938 in Fetzen gerissen hatte, schrieb der französische Botschafter in Berlin, Robert Coulondres: "Deutschland bleibt das Land der ‚Papierfetzen‘." (Geschichte des II. Weltkriegs in Dokumenten, Bd.II, Freiburg 1955, S.24.) Schon zu Beginn des I.Weltkriegs hatte Kaiser Wilhelm die belgische Neutralitätserklärung für einen "Papierfetzen" erklärt und das Land überfallen. Das deutsche Vorpreschen bei der Aushebelung der UN-Charta und des Zwei-plus-Vier-Vertrages folgt somit einer durchaus spezifischen Tradition.
18) Siehe Zbigniew Brzezinki, Die einzige Weltmacht, Weinheim 1997, S. 70 sowie Strobe Talbott, Das neue Europa und die neue Nato, in: FAZ, 5. Februar 1999.
19) Zit. nach Thomas Klein, Benzin ins Feuer, in: Junge Welt, 24. März 2000.