An den Kanzler

des Europäischen Gerichtshof

für Menschenrechte

Europarat

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Sekretariat Frau Sturm

Berlin, den 09.12.2003 / AST

Unser Zeichen 904/2002 WKA

Bitte stets angebe

 

 

 Beschwerde nach Artikel 34 EMRK

 

 

1. der Frau Cornelia Kampffmeyer, Alt-Müggelheim 17, 12559 Berlin,

 

2. des Herrn Harald Kampffmeyer, Alt-Müggelheim 17, 12559 Berlin,

 Beschwerdeführer -

 

 

Verfahrensbevollmächtigter:

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Immanuelkirchstraße 3 - 4, 10405 Berlin

 

gegen

 

die Bundesrepublik Deutschland

 

 

 

wegen

Verletzung des Artikel 9 EMRK (Gewissensfreiheit).

 

Namens und in Vollmacht der Beschwerdeführer – Vollmachten anbei – erhebe ich

 

Beschwerde

 

nach Artikel 34 EMRK gegen die Bundesrepublik Deutschland mit folgendem Anträgen:

 

Es wird festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland Artikel 9 EMRK verletzt hat.

 

Der Fall ist gemäß Artikel 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes mit Vorrang zu behandeln.

 

Die Beschwerde richtet sich gegen folgende Beschwerdegegenstände:

 

1.  den Ablehnungsbescheid des Finanzamtes Treptow / Köpenick vom 15.04.1999, AZ.: 373/61231 (Anlage 1),

2.  die Einspruchsentscheidung des Finanzamtes Treptow / Köpenick vom 18.05.1999, mit demselben Aktenzeichen (Anlage 2),

3.  das Urteil des Finanzgerichtes Berlin vom 07.03.2000, AZ.: 5 K 5259/99 (Anlage 3),

4.  den Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 22.08.2002, AZ.: Vi B 165/00 (Anlage 4),

5.  den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 02.06.2003, AZ.: 2 BvR 1775/02 (Anlage 5).

 

Begründung:

 

I. Sachverhalt

 

Die Beschwerdeführer sind Eheleute. Sie gelten im steuerrechtlichen Sinne als nicht selbstständig Beschäftigte und sind zusammen veranschlagt. Aus Gewissensgründen wurden sie im Frühjahr 1999 in mehrerer Hinsicht gegen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien unter deutscher Beteiligung tätig: sie unternahmen z.B. nach Beendigung der Nato-Luftangriffe mehrere Reisen nach Jugoslawien, um sich ein Bild von den Folgen des Krieges zu machen und mit den Opfern in Kontakt zu treten. Sie stellten den Opfern des Luftangriffes auf den Ort Vavarin und deren Familienangehörigen 100.000,00 DM zur Verfügung, um diesen einen Rechtsstreit wegen Entschädigungszahlungen zu ermöglichen.

 

Mit Schreiben vom 26. März 1999 beantragten die Beschwerdeführer bei dem für sie zuständigen Berliner Finanzamt Treptow/Köpenick die Rückerstattung aller von ihnen geleisteten Bundessteuern ab dem 24. März 1999. Als Begründung für die Rückforderung gaben sie an, sie wollten den am 24. März 1999 von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Nato begonnenen grundgesetz- und völkerrechtswidrig Angriffskrieg gegen den Staat Jugoslawien aus Gewissensgründen nicht durch ihre Steuerzahlungen mitfinanzieren.

 

Glaubhaftmachung:    Antrag an das Finanzamt Treptow/Köpenick vom 26. März 1999, Anlage 6

 

Mit einem weiteren Schreiben vom 4. April 1999 spezifizierten die Beschwerdeführer ihren Antrag auf die anteilige Rückerstattung der Lohnsteuern in Höhe von 1.556,92 DM und der Solidarzuschläge in Höhe von 153,41 DM für März 1999.

 

Glaubhaftmachung:    Schreiben an das Finanzamt Treptow/Köpenick vom 4. April 1999, Anlage 7

 

Das Finanzamt Treptow/Köpenick legte das Begehren der Beschwerdeführer als Antrag auf Erlass eines Teils der Einkommensteuer 1999 nach § 227 Abs. 1 Abgabenordnung aus. Mit Bescheid vom 15. April 1999 lehnte sie den Antrag ab, weil die Voraussetzungen für einen Steuererlass Billigkeitsgründen nicht vorlägen und die Zahlungen von Steuern nicht aus Gewissensgründen abgelehnt oder verweigert werden könne. Die Steuerfestsetzung beruhe auf Gesetz, an das das Finanzamt gebunden sei. Die Frage, für welche Zwecke die Steuern verwendet werden, sei nicht Gegenstand des Steuerfestsetzungsverfahrens.

 

Gegen diesen Bescheid legten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17. April 1999 Einspruch ein. Die begründeten ihn im Besonderen damit, dass sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, durch die Steuerzahlung an der Finanzierung von Staatsverbrechen, nämlich der Beteiligung am Kosovokrieg, teilnehmen zu müssen.

 

Glaubhaftmachung:    Einspruch vom 17. April 1999, Anlage 8

 

Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 18. Mai 1999 als unbegründet zurückgewiesen.

 

Gegen diese Entscheidung des Finanzamtes Treptow/Köpenick erhoben die Beschwerdeführer am 16. Juni 1999 Klage beim Finanzgericht Berlin. In der Klageschrift vom 16. Juni stellten sie zunächst den Antrag, unter Aufhebung der Bescheide vom 15. April und 18. Mai 1999, die im April 1999 gezahlten Lohnsteuern und den Solidarzuschlag zurückzuerstatten. Mit Schriftsatz vom 31. August änderten sie den Antrag insoweit, als sie nunmehr begehrten, sicherzustellen, dass die von den Beschwerdeführern gezahlte Einkommenssteuer keine Verwendung zur Finanzierung der im Rahmen eines Nato-Kampfeinsatzes erfolgten Beteiligung der Bundeswehr in der Bundesrepublik Jugoslawien zwischen 24. März und 10. Juni erfährt. Die Klage wurde mit Urteil vom 7. März 2000 abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

 

Glaubhaftmachung:    1.  Klageschriftsätze vom 16. Juni und 31. August 1999, Anlagen 9 und 10

2.  Urteil des Finanzgerichts Berlin vom 07.03.2000, AZ: 5 K 5259/99, Anlage 3

 

Gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben die Beschwerdeführer am 29. März 2000 Beschwerde, die mit Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 22. August 2002 mangels grundsätzlicher Bedeutung der Sache zurückgewiesen wurde.

 

Glaubhaftmachung:    1.  Nichtzulassungsbeschwerde vom 29.03.2000, Anlage 11

2.  Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 22. August 2002, AZ: VI B 165/00, Anlage 4

 

Die Beschwerdeführer legten mit Schriftsätzen vom 30. Mai 2000 und 18. Oktober 2002 Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ein. Mit Beschluss vom 2. Juni 2003 beschloss das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Ausfertigung des Beschlusses ging dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführer am 18. Juni 2003 zu.

 

Glaubhaftmachung:    1.  Schriftsätze vom 30.05.2000 und 18.10.2002, Anlagen 12 und  1

     2.  Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 02.06.2002, AZ: 2 BvR 1775/02, Anlage 5

 

II. Rechtliche Würdigung

 

1. Zulässigkeit

 

Die Beschwerdeführer sind als natürliche Personen parteifähig. Die Beschwerdeführer sind durch die Entscheidungen des Finanzamtes Treptow/Köpenick, des Finanzgerichts Berlins, des Bundesfinanzhofes und des Bundesverfassungsgerichts, also durch Hoheitsakte der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt, in ihrer Gewissensfreiheit nach Artikel 9 EMRK verletzt und daher unmittelbar in einem durch die Konvention garantierten Recht betroffen.

 

Der innerstaatliche Rechtsweg ist gemäß Artikel 35 Abs. 1 EMRK erschöpft. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2003, die Verfassungsbeschwerde nach Artikel 93 b BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen, stehen den Beschwerdeführern in der Bundesrepublik Deutschland keine weiteren Rechtsbehelfe zur Verfügung.

 

Die Sechsmonatsfrist des Artikel 35 Abs. 1 EMRK ist gewahrt. Die Frist begann mit Kenntnis der Entscheidung, d.h. der Zustellung des Beschlusses am 18. Juni 2003, und endet am 18. Dezember 2003.

 

2. Begründetheit

 

Die Menschenrechtsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen des Finanzamtes Treptow/Köpenick und der Gerichte verkennen die Bedeutung der Gewissenfreiheit. Sie verletzen die Beschwerdeführer unmittelbar in ihrem Recht auf Gewissensfreiheit aus Artikel 9 EMRK.

 

Die Beschwerdeführer haben aus Artikel 9 EMRK einen Anspruch auf Rückerstattung bzw. Erlass des Teiles der von ihnen gezahlten Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlages, der auf die Bundessteuern in dem Teil des Monats März 1999 entfällt, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Nato an dem Angriff gegen die Republik Jugoslawien beteiligte (24. bis 31. März 1999). Sie können nicht gegen ihr Gewissen gezwungen werden, einen grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Krieg durch ihre Steuern mitzufinanzieren und zu unterstützen.

 

Diesen Anspruch haben die Beschwerdeführer durchgehend geltend gemacht. Zwar haben sie den Antrag auf Rückerstattung der im fraglichen Zeitraum gezahlten Steuern in dem Verfahren vor dem Finanzgericht Berlin dahingehend geändert, dass nunmehr sichergestellt werden sollte, dass die gezahlten Steuern nicht zur Finanzierung der deutschen Beteiligung am Nato-Kampfeinsatz verwendet wird. Insofern wurde das Begehren aber nicht geändert, sondern nur weitergefasst. Der Antrag umfasste weiterhin als eine – und zwar die naheliegendste - Möglichkeit, die Nichtverwendung sicherzustellen, die Rückerstattung.

 

Verletzung der Gewissensfreiheit

 

Nach Artikel 9 EMRK hat jedermann einen Anspruch auf Gewissensfreiheit, also auch die Beschwerdeführer als natürliche Personen.

 

Als Gewissenentscheidung kann sich jede ernsthafte und an grundlegenden Kategorien irgendwelcher Art orientierte Entscheidung darstellen. (Frowein/Peukert, Artikel 9, Rn. 3) Aus Gewissensnot handelt eine Person, wenn sie es in einer bestimmten Lebenslage innerlich als für sie bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, sich in bestimmter Art und Weise zu verhalten (so auch BVerfGE Band 12, S.45, 54 f.; Band 48, S. 127,173).

 

Die Beschwerdeführer handelten aus zwei eng miteinander verknüpften Beweggründen.

Zum einen können sie jede indirekte Beteiligung an einem Krieg nicht mit ihrer pazifistischen Überzeugung vereinbaren. Die Kommission hat insofern bereits anerkannt, dass Pazifismus in den Schutzbereich von Artikel 9 fällt (Arrowsmith v. United Kingdom, E 7050/7).

Zum anderen glauben die Beschwerdeführer an die Bedeutung des Rechts als das einzige Mittel, um das Zusammenspiel verschiedener Rechtssubjekte friedlich zu regeln. Insbesondere sind die Beschwerdeführer überzeugt, dass allein das Handeln nach den Regeln des Völkerrechts, dessen oberste Norm das Gewaltverbot ist, das friedliche Zusammenleben der Staaten garantieren kann. Nach dieser Überzeugung können Staaten ihre Hoheitsgewalt nur im Rahmen des Grundgesetzes und des Völkerrechts ausüben, d.h. rechtswidrige Hoheitsakte können gegenüber ihren Staatsbürgern nicht verpflichtend sein. Auch diese Vorstellung der Beschwerdeführer von der alleinigen Zulässigkeit verfassungs- und völkerrechtmäßiger Handlungen der Staaten ist eine Weltanschauung im Sinne des Artikel 9 EMRK.

 

Artikel 9 EMRK schützt nicht nur die Gewissensfreiheit an sich, sondern auch ihre Ausübung, d.h. die Handlungen, die unmittelbar mit Gewissensentscheidungen verbunden sind. Dass auch die Praktizierung nichtreligiöser Überzeugungen von Artikel 9 EMRK geschützt sein kann, hat die Kommission im Fall Arrowsmith (s.o.) anerkannt.

Zur Ausübung pazifistischer Überzeugungen gehört notwendigerweise, Kriege und die direkte oder indirekte Unterstützung jeder Kriegsführung abzulehnen, d.h. auch die Finanzierung eines durch den Heimatstaat geführten Krieges durch Steuerabgaben. Gerade die Ablehnung tatsächlich stattfindender Kriege drückt die pazifistische Überzeugung aus.

Ebenso stellt es die Ausübung der Überzeugung dar, dass das Völkerrecht der einzige Weg für ein friedliches Zusammenleben der Völker ist. die Verweigerung der finanziellen Unterstützung von rechtswidrigen Handlungen des Staates

 

Die Beschwerdeführer haben hier also in Ausübung ihrer Weltanschauung von Pazifismus und Völkerrecht gehandelt. Sie haben sich aus einer inneren Gewissensnot entschieden, alles in ihrer Möglichkeit stehende zu tun, um eine Weiterführung des Angriffs der Nato und Bundesrepublik Deutschland in Jugoslawien seit dem 24. März 1999 zu verhindern und dessen Folgen zu mildern. Als eine Ausprägung dieser umfassenden Gewissensentscheidung forderten die Beschwerdeführer die Rückerstattung ihrer während des Angriffs an die Bundesrepublik Deutschland gezahlten Steuern, da es ihr Gewissen besonders belastet, die völkerrechtswidrige Kriegsführung der Bundesrepublik Deutschland in Jugoslawien durch ihre Steuerzahlungen persönlich unterstützen zu müssen.

 

Dass die Beschwerdeführer in Ausübung ihrer Überzeugung handelten, zeigt sich schon daran, dass sie lediglich die Rückerstattung der Bundessteuern forderten. Denn die Bundeswehr wird aus den Mitteln des Bundes finanziert. Gemäß Bundeshaushaltsgesetz und Bundeshaushaltsplan von 1999 werden 50 % der Lohnsteuern dem Bund zur Verwendung zugeführt. Mit diesen Mitteln wurde also auch die Kriegsführung des Bundes in Jugoslawien finanziert. Die Beschwerdeführer können das Wissen um die eigene indirekte Beteiligung an der Kriegsführung durch ihre Steuerzahlungen an den Bund nicht mit ihrer tiefsten inneren Überzeugung und Selbstachtung vereinbaren und handelten daher aus Gewissensnot.

 

Die Gewissensnot der Beschwerdeführer wurde von keiner der Vorinstanzen in Frage gestellt. Allerdings sei der Schutzbereich der Gewissenfreiheit aus Artikel 4 GG eingeschränkt. Nach der Rechtssprechung zur EMRK wird auch der Schutzbereich der Gewissensfreiheit aus Artikel 9 EMRK aus denselben nachfolgend zu erörternden Gründen eingeschränkt.

 

Nach Ansicht der Kommission schütze die EMRK nicht jede Handlung in der Öffentlichkeit, die durch den eigenen Glauben oder die eigene Weltanschauung motiviert ist, als Ausübung der Gewissensfreiheit. (A C v. United Kingdom, E 10358/83) Daher beeinflusse die Pflicht zur Steuerzahlung als solche in Friedenszeiten nicht die Gewissensfreiheit eines Pazifisten, auch wenn ein Teil der Steuern für Rüstung ausgegeben werde, weil es sich um eine neutrale und generelle Pflicht handele und nicht bestimmbar sei, welcher Teil der Steuern dem Verteidigungshaushalt zugute komme und zu welchen Gelegenheiten und Zwecken dieser Teil ausgegeben werde. Nach der Rechtsprechung folgt aus Artikel 9 EMRK Absatz 1 also kein generelles Recht, die Erfüllung allgemeiner Rechtspflichten unter Berufung auf Glaubens- und Gewissensgründe zu verweigern. (Frowein/Peukert, Artikel 9, Rn. 19) Dies entspricht auch der Rechtslage in Deutschland nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Finanzgericht zu diesem Problem.

 

Hier liegt der Fall aber etwas anders. Es geht nicht um allgemeine Steuerzahlungen in Friedenszeiten. Vielmehr wollen die Beschwerdeführer gerade die Steuern erstattet bekommen, die sie während des Angriffs auf Jugoslawien an den Bund abgeführt haben. Sie können es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, konkret diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Jugoslawien durch ihre Steuerzahlungen finanziell unterstützen zu müssen. Hier ist offensichtlich, dass gerade ein Teil der im März 1999 erhobenen Steuern für den Krieg gegen Jugoslawien eingesetzt wird. Es handelt sich also nicht nur um die abstrakte Möglichkeit, dass die eigenen Steuern in den Verteidigungshaushalt einfließen und so eventuell irgendwann indirekt – durch die in Friedenszeiten gekauften Waffen oder ausgebildeten Soldaten – bei einem Verteidigungs- oder Bündnisfall zum Einsatz kommen. Sondern es ist im Gegenteil ersichtlich und deutlich, dass ein Teil der Bundessteuern zur Finanzierung des konkreten Angriffs in Jugoslawien unter deutscher Beteiligung verwendet werden müssen.

 

Der Zwang zur indirekten Unterstützung des Krieges stellt sich hier zum einen als unvereinbar mit der pazifistischen Überzeugung der Beschwerdeführer dar. Die pazifistische Überzeugung der Bürger muss nach der Rechtsprechung der Kommission dann hinter der allgemeinen Abgabenpflicht gegenüber ihrem Staat zurücktreten, wenn es um die Zahlung genereller Steuern geht, die der Finanzierung der notwendigen staatlichen Aufgaben dient. Hier handelt es sich aber weder um eine generelle Steuerzahlung noch um eine notwendige staatliche Aufgabe: Es ist schon deshalb keine generelle und neutrale Steuerzahlung, weil ersichtlich gerade von diesen Steuern 50 % für die Finanzierung des Angriffs auf Jugoslawien verwendet wird. Es geht auch nicht um die Finanzierung einer allgemeinen staatlichen Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, weil die Führung eines rechtswidrigen Angriffskrieges nicht zu den Aufgaben eines Staates gehört. Es ist keine neutrale Pflicht der Bürger mehr, eine rechtswidrige Handlung ihres Staates zu finanzieren.

 

Zudem stellt sich der Zwang zur indirekten Unterstützung des grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Krieges hier für die Beschwerdeführer als unvereinbar mit ihrer Überzeugung von der Pflicht, verfassungs- und völkerrechtmäßig zu handeln, dar. Die Beschwerdeführer sind von der Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs auf Jugoslawien überzeugt. Damit verstößt aber nicht nur die Beteiligung Deutschlands an dem Angriff gegen das Grundgesetz und das Völkerrecht, sondern auch die Finanzierung des Kriegseinsatzes selbst. D.h. die Beschwerdeführer werden zu einer eigenen rechtswidrigen Unterstützung des Angriffskrieges durch ihre Steuerzahlungen gezwungen, was mit ihrem Gewissen unvereinbar ist. Im Gegenteil stellt es sich geradezu als eine Gewissenspflicht der rechtstreuen Bürger dar, dem eigenen Staat die Mittel für rechtswidrige Handlungen zu verweigern.

 

Der gravierende Unterschied zu den zuvor entschiedenen Fällen einer Steuerverweigerung aus Gewissensgründen ist also, dass es in jenen Fällen um das Recht einer grundsätzlichen „Steuerverweigerung“ für Streitkräfte zur Verteidigung im Sinne des Artikel 87 a Absatz 1 GG in Friedenszeiten ging und im vorliegenden Falle um das Recht der „Steuerverweigerung“, wenn deutsche Streitkräfte konkret unter Verstoß gegen das universelle Gewaltverbot völkerrechtswidrig und entgegen Artikel 87 a Absatz 2 und 26 GG verfassungswidrig in einem gegenwärtigen Kriegseinsatz Verwendung finden. Denn die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Nato-Staaten unter Einsatz von Flugzeugen der Luftwaffe der Bundeswehr vom 24. März bis 10. Juni 1999 an der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien war völkerrechts- und grundgesetzwidrig.

 

Mit dem Militäreinsatz verstießen die Nato-Staaten gegen das absolute Gewaltverbot des Artikel 2 Absatz 4 UN-Charta.

 

Art. 2 Nr. 4 der UN- Charta lautet wie folgt:

 

"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit gerichtete oder sonst mit Zielen der vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

 

Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta installiert ein striktes und auch die Bundesrepublik Deutschland bindendes Gewaltverbot. Es verbietet jede Art der Anwendung von Waffengewalt gegen einen anderen Staat, sofern die UN-Charta keine rechtfertigende Ausnahme vorsieht. Neben dem völkerrechtlich bindenden Gewaltverbot gibt es keinen Raum für weitere nicht ratifizierte Eingriffsmöglichkeiten mit Waffengewalt wie etwa eine "Humanitäre Intervention" oder ein übergesetzliches Notstandsrecht (vgl. Deiseroth NJW 1999, 3084, 3085 m.w.N.) Denn Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta sieht keine rechtfertigende Ausnahme außerhalb der UN-Charta vor. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt sich ersehen, dass eine Einschränkung des Gewaltverbotes nicht beabsichtigt war. Denn im Rahmen der Verhandlungen wurde durch die Vertragsstaaten besonderer Wert auf den Schutz gerade der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit gelegt, die durch die Luftangriffe im Falle des Kosovokonflikts unzweifelhaft berührt ist. Die ausdrückliche normative Zielsetzung der Regelung ist die Festlegung, dass nach der UN-Charta militärische Gewalt nur noch in den Fällen rechtmäßig sein soll, die Art. 2 Nr. 4 UN-Charta ausdrücklich normiert (vgl. Deisenroth, ebenda, 3086 m.w.N.).

 

Als Rechtfertigungsgrund kommen daher nur ausdrückliche Ermächtigungen durch den Sicherheitsrat nach den Art. 42 oder 53 der UN-Charta in Betracht. Der Rechtfertigungsgrund des Art. 51 UN-Charta, das "Selbstverteidigungsrecht" eines Staates gegen einen bewaffneten Angriff durch einen anderen Staat, liegt zugunsten der NATO und der Bundesrepublik Deutschland nicht vor, weil keiner der Nato-Bündnispartner angegriffen wurde. Art. 39 der UN-Charta ist ebenfalls nicht einschlägig, da es sich bei dem Kosovo-Konflikt um einen innerstaatlichen Konflikt handelt. Denn der Kosovo ist völkerrechtlich Teil des Staatsgebietes der Bundesrepublik Jugoslawien. Staatsrechtlich wurde die Provinz Kosovo „autonom“ genannt, tatsächlich war sie aber nur mit geringen Selbstverwaltungsrechten ausgestattet. Im Zuge der Anerkennung der Sezessionen Sloweniens und Kroatiens im Mai 1992 wurde zwar die „Republik Kosovo“ ausgerufen, die Bundesrepublik Jugoslawien erkannte den Autonomiestatus aber nicht an, vielmehr gingen die Verhandlungen in Rambouillet im Frühjahr 1999 gerade um den Autonomiestatus der Provinz Kosovo im Rahmen einer staatlichen Einheit mit der Bundesrepublik Jugoslawien.

 

Die sich mit dem Kosovo-Konflikt befassenden Resolutionen des Sicherheitsrates der UN, die am 31.03.1998 verabschiedete Resolution 1160 und die am 23.09.1998 verabschiedete Resolution 1199, enthalten keine Ermächtigung zum Gewalteinsatz, sie enthalten noch nicht einmal die Androhung von Sanktionen. Weitere Resolutionen existieren nicht.

 

An der Rechtslage ändert sich auch nichts dadurch, dass das Europäische Parlament mit einem mehrheitlich gefassten Beschluss vom 20.04.1994 die EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert hat, an dem Prozess der Anerkennung eines Rechts auf "humanitäre Intervention" mitzuwirken. Denn auch diese Anerkennung kann nur durch ratifiziertes Völkerrecht erfolgen. Hieran ändert auch nichts, dass sich im Einzelfall aus der Wahrnehmung des Vetorechts durch im Sicherheitsrat der UN vertretene Nationen eine für den einen oder anderen Staat unbefriedigende Situation ergeben mag oder gar sich der vom Vetorecht Gebrauch machende Staat dem Verdacht des Missbrauchs des Vetorechts aussetzt. Denn trotzdem ist das Völkerrecht in seinen Regelungen bindend und klar und eine Umgehung der Regelungen der UN-Charta aus derartigen Erwägungen gefährdet letztlich die Funktionsfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Abgesehen davon wurde im Jahre 1999 keine Resolution des Sicherheitsrates mit dem Auftrag an die Nato, im Kosovo militärisch einzugreifen, beantragt. Damit scheiterte ein militärisches Vorgehen mit UN-Mandat hier nicht an einem Veto im Sicherheitsrat.

 

Aber selbst dann, wenn man entgegen der absolut herrschenden Meinung der Auffassung sein sollte, dass es auch außerhalb der Bestimmungen der UN-Charta Ausnahmen zum völkerrechtlichen Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta gibt, haben die Voraussetzungen dieser Ausnahmen hinsichtlich des Kosovo-Krieges nicht vorgelegen.

 

In Betracht käme allenfalls die Ausübung von Notrechten als Entlehnung aus den Instituten des Individualrechtgüterschutzes sowie die "humanitäre Intervention". Da diese Rechtsfiguren auch von ihren Befürwortern als absolute Ausnahmen vom Gewaltverbot bezeichnet werden, müssen sie an enge, klar bestimmte Voraussetzungen geknüpft sein. So müssen für die humanitäre Intervention zumindest alle möglichen und vernünftigen Lösungsversuche ohne Erfolg ausgeschöpft worden sein. Außerdem dürfte auch dann nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel eine begrenzte Operation durchgeführt werden.

 

Der durchgeführte Luftkrieg erfüllt diese erforderlichen Voraussetzungen einer gewaltsamen Nothilfe oder humanitären Intervention nicht. Denn die Luftangriffe führten zuerst zu einer Erhöhung des Druck auf die Kosovo-Albaner und damit zu einer Erhöhung des gerade zu beseitigenden Elends. Dies war als Ergebnis der Luftangriffe zwingend und vorhersehbar. Eine gewaltsame Nothilfe aber, die das Elend der Beschützten vergrößert, ist untauglich und wird zum Unrecht, auch im Verhältnis zum eigentlichen Verursacher des Elends der Beschützten.

 

Die mangelnde Tauglichkeit spiegelt sich auch in der Qualifizierung der Militäraktion als "Strafaktion gegen Milosevic" wider. Strafe ist keine Nothilfe.

 

Die Erreichung des behaupteten politischen Zieles, die Errichtung und Aufrechterhaltung eines gleichberechtigten Zusammenlebens der Kosovaren mit den Serben, ist durch die Militäraktion nicht erreicht worden.

 

Weiterhin fehlt es an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: Wer Gewaltanwendung mit der Hilfe für ein misshandeltes Opfer legitimieren will, der hat die "Kosten" seines Handelns, sofern er sie nicht dem Täter selbst aufbürden kann, auf sich zu nehmen. Keinesfalls darf er sie unschuldigen Dritten zuschieben. Genau dies ist aber im Kosovo-Krieg geschehen -und war letztlich auch vorhersehbar. Ziel der Luftangriffe der Nato waren strategische Ziele in Jugoslawien – zuerst sollte die militärische und dann die zivile Infrastruktur zerstört werden. Diese Art der Kriegsführung führte unter der jugoslawischen Bevölkerung - unabhängig von ihrer Position zur Regierung Milosevic - zu großen direkten und indirekten Opfern. So kam es nicht nur zu einer hohen Anzahl an Todesopfern unter der Zivilbevölkerung, weil diese weit weniger geschützt war als die Armee, sondern infolge der Bombardierung auch zur Verursachung von Versorgungsengpässen und zu Umweltvergiftungen massivster Art. Eine simple „Aufrechnung“ der Opfer auf Seiten der Jugoslawen und der Kosovo-Albaner verbietet sich, da es sich hier nicht um "Kosten" des Beschützers, der Nato, handelt.

 

Wer sich auf die Legitimität einer humanitären Intervention oder die Ausübung von Notrechten beruft, macht gerade geltend, dass es unter keinen Umständen erlaubt sei, unschuldige Dritte zu töten. Eine Maxime, die besagt, dass Unschuldige getötet werden müssen, um Unschuldige zu retten, zerstört sich offenkundig selbst. Hier unterscheidet sich die Legitimität von Gewalt im Rahmen eines Verteidigungskrieges, bei dem die Existenzvernichtung des angegriffenen Staates droht.

 

Da der Krieg der Nato unter "Inkaufnahme" von sogenannten Kollateralschäden und -toten geführt wurde und mit dem Zwischenziel, die jugoslawische Bevölkerung gegen den "Verursacher" des Krieges Milosevic aufzubringen, ist deutlich, dass bei dem vorliegenden Angriff von vorneherein nicht um eine humanitäre Intervention, sondern um einen Nötigungskrieg gegenüber der jugoslawischen Bevölkerung ging mit dem Ziel, so eine Veränderung der Machtverhältnisse in Jugoslawien zu erreichen.

 

Im Übrigen ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Krieges, dass noch nicht alle gegebenen Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren. Denn die Bewertung der Verhandlungsergebnisse und die hieraus gezogenen Folgerungen waren bereits zu Beginn der Verhandlungen von Rambouillet von der Position der USA geprägt, es werde im Zweifel zu einem Militärschlag gegen Jugoslawien kommen. Insbesondere schlug die US-Außenministerin Albright schon am 18.01.1999 vor, Belgrad konkret mit Luftanschlägen zu drohen, um die Zustimmung zur Stationierung von Nato-Truppen zu bekommen. Die Drohung mit einem Luftangriff auf Jugoslawien wurde auch seitens der Verhandlungsleitung eingesetzt. Nachdem der US-Verhandlungsleiter am 16.02.1999 in einer nicht abgesprochenen Aktion zu dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic reiste und vergeblich versuchte, die Zustimmung für den Einsatz von 28 000 Nato-Soldaten zu erreichen, wurde am Folgetag zum ersten Mal von einer möglichen militärischen Option gesprochen. Wegen dieser voreingenommenen Position bestand letztlich für die Kosovo-Albaner nur geringer Anreiz, in den Rambouillet-Verhandlungen von ihren Maximalforderungen abzurücken. Es hätte also noch andere Verhandlungsmöglichkeiten und –taktiken gegeben, mit denen man den Druck auf die Bundesrepublik Jugoslawien auch mit zivilen Mitteln hätte erhöhen können.

 

In diesem Zusammenhang sei Altkanzler Helmut Schmidt zitiert: "Gegängelt von den USA haben wir das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen missachtet" (Frankfurter Rundschau v. 3.4.1999).

 

Diese völkerrechtliche Situation ist auch für die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich, da nach Art. 25 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Zudem verletzte die Bombardierung Jugoslawiens im Rahmen des Nato-Einsatzes Artikel 26 GG, der ausdrücklich das Verbot eines Angriffs normiert. Ohne eine völkerrechtliche Rechtfertigung aufgrund der UNO-Satzung oder aufgrund eines Nato-Bündnisfalles, stellt eine gewaltsame Aggression im Sinne der Definition der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1974, d.h. die Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates, auch nach einer engeren Auslegung des Begriffs einen Angriff im Sinne des Artikel 26 dar. (H.D. Jarass, in Jarras/Pieroth, Grundgesetz, Artikel 26, Rdnr.2; R. Streinz, in M. Sachs, Grundgesetz, Artikel 26, Rdnr.20) Darüber hinaus hat sich Deutschland auch noch völkerrechtlich in Art. 2 des 2+4 Vertrages vom 12.09.1990, der völkerrechtlichen Grundlage seiner staatlichen Vereinigung, verbindlich verpflichtet, dass "von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird" und dass "das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen."

 

Auch das Out-of-Area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.1994, das der Bundesrepublik Deutschland bescheinigt, nach Art. 24 Abs. 2 GG einem "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" beitreten zu dürfen, schafft keinen Erlaubnistatbestand für die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg. Das Urteil bedeutet in seiner Konsequenz zwar die Erlaubnis der Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen, die "im Rahmen und nach den Regeln des Systems stattfinden". Ein solcher Einsatz hinge aber eben in seiner völkerrechtlichen Legitimation wiederum von dem erörterten UN-Mandat ab, welches nicht vorgelegen hat. Denn ein Einsatz der Nato als reines Selbstverteidigungsbündnis ist ohne UN-Mandat nur nach Art 51 UN-Charta erlaubt, dessen Voraussetzungen aber- wie ausgeführt - ebenfalls nicht vorlagen.

 

Die erzwungene Finanzierung des völkerrechts- und verfassungswidrigen Jugoslawien-Angriffs beeinträchtigt also in zweifacher Hinsicht die Gewissensfreiheit der Beschwerdeführer, weil sie weder mit ihrer pazifistischen Überzeugung noch mit ihrem Glauben daran, dass die Befolgung des Völkerrechts den einzigen Weg für ein friedliches Zusammenleben der Völker darstellt, vereinbar ist. Es ist damit für die Beschwerdeführer, die sich auch in anderer Hinsicht sehr stark gegen den Angriff auf Jugoslawien eingesetzt haben, moralisch und sittlich absolut unzumutbar, den für sie unerträglichen Krieg nicht nur nicht verhindern zu können, sondern sogar gezwungen zu sein, ihn indirekt zu unterstützen. Es ist Ausdruck ihrer Gewissensnot, dass sie ihre Steuern anteilig für den Kriegszeitraum zurückforderten. Grundsätzlich ist in Deutschland die Verweigerung einer allgemeinen Rechtspflicht aus einer Gewissensnot des Einzelnen auch anerkannt. Es gibt insbesondere die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, weil allgemein gebilligt wird, dass eine Teilnahme an der Kriegsführung bestimmten Personen aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht zumutbar ist. Als Konsequenz dieser Wertentscheidung muss aber auch anerkannt werden, dass hier eine finanzielle Unterstützung des völkerrechtswidrigen Krieges den Beschwerdeführern nicht zuzumuten ist. Anders als in den bisher entschiedenen Fällen handelt es sich nicht um eine neutrale Steuerzahlungspflicht, sondern die Beschwerdeführer verweigerten ihre finanzielle Unterstützung hier konkret für einen gegenwärtigen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland.

 

Einschränkung von Artikel 9 EMRK

 

Nach Artikel 9 Absatz 2 EMRK kann das Recht zur Ausübung der Weltanschauung nur aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden, sofern die Beschränkung zum Schutz eines der aufgezählten Rechtsgüter in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

 

Die notwendige Rechtsgrundlage ist hier mit §§ 38 ff Einkommenssteuergesetz und der darauf beruhenden Abgabenordnung gegeben. Als Zweck der Beschränkung käme hier nur der Schutz der öffentlichen Sicherheit in Betracht, weil die Funktionsfähigkeit des Staates von seinen finanziellen Einnahmen abhängt und diese in erster Linie durch Steuern gedeckt werden. Hier ist allerdings die Funktionsfähigkeit des Staates aus zwei Gründen nicht gefährdet.

 

Zum einen handelt es sich bei der Beteiligung Deutschlands im Rahmen des Nato-Einsatzes in Jugoslawien nicht um eine Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, weil es sich dabei – wie erörtert - um einen grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Angriff ohne rechtliche Grundlage handelt. Daher führt auch der Entzug der Finanzierung eines solchen Krieges nicht zu einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Staates.

 

Zum anderen fordern die Beschwerdeführer lediglich die Erstattung der Einnahmen, die für die Kriegsführung im März 1999 verwendet wurden, so dass die Funktionsfähigkeit nicht schon aufgrund des Fehlens dieser eher geringen Mittel gefährdet ist. Es besteht auch nicht die Gefahr, dass ein Präzedenzfall geschaffen wird und durch den Einfluss von Gewissensentscheidungen die Funktionsfähigkeit des Staates lahm gelegt werden würde. Denn bei einer Nichtbefolgung einer gesetzlichen Pflicht wegen des persönlichen Gewissenszwanges geht es immer nur um die Nichtgültigkeit des Gesetzes in einem konkreten Fall und für eine bestimmte Person wegen einer von ihr getroffenen Gewissensentscheidung. Probleme für die Funktionsfähigkeit des Staates ergeben sich aber erst, wenn ein Großteil der gesamten Bevölkerung Deutschlands eine solche Gewissensentscheidung treffen würde. Da es sich aber immer um eine nachvollziehbare persönliche Gewissensentscheidung handeln muss, die sich auch in dem sonstigen Verhalten der Person niederschlägt, ist eine solche „kollektive Steuerverweigerung aus Gewissensgründen“ höchstens theoretisch denkbar. Zudem hätte es den Beschwerdeführern genügt, wenn sichergestellt worden wäre, dass ihre Steuern nicht für die Kriegsführung verwendet worden wären, d.h. sie hätten dem Staat die Steuern für seine rechtmäßigen Aufgaben zur Verfügung gestellt und damit die Funktionsfähigkeit des Staates in keiner

Weise beeinträchtigt.

 

Da die Funktionsfähigkeit des Staates also durch die einzelne Gewissensentscheidung der Beschwerdeführer in diesem besonderen Fall nicht ernsthaft gefährdet ist und es ohnehin nicht zur Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft gehört, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu führen, ist die Einschränkung der Gewissensfreiheit der Beschwerdeführer hier nicht notwendig im Sinne des Artikel 9 Absatz 2 EMRK.

 

Diese unverhältnismäßige Beschränkung der Gewissensfreiheit durch die staatlichen Entscheidungen, die den Beschwerdeführern die Rückerstattung der Steuern verweigern und sie dadurch zwingen, die völkerrechtswidrige Beteiligung Deutschlands beim Angriff auf Jugoslawien finanziell zu unterstützen, obwohl das mit den Grundsätzen der Beschwerdeführer von Pazifismus und Völkerrecht nicht vereinbar ist, verletzt Artikel 9 EMRK.

 

Kaleck, Rechtsanwalt